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zurechtfinden, wenn sie in der Schule nicht einmal gelernt haben, in Gruppen zu arbeiten?" Der<br />

Hamburger Universitätspräsident Peter Fischer-Appelt (1970-1991) klagt darüber, dass die<br />

Studenten aus ihrer Unsicherheit heraus zu viele Vorlesungen belegen: "Die Krise für den<br />

Einzelnen ist dann unvermeidlich. Er überanstrengt sich und bricht zusammen. Danach finden die<br />

Jugendlichen nur schwer den roten Faden des Studiums."<br />

Für manche gibt es kein Danach mehr. In Hamburg ist die Selbstmordquote unter<br />

Studenten ein Drittel höher <strong>als</strong> bei berufstätigen Jugendlichen. Der Göttinger Psychologie-<br />

Professor Eckard Sperling (*1925+2007) - (an seiner Universität kommt es "nur" 1,8-mal häufiger<br />

zum Freitod <strong>als</strong> bei anderen Gleichaltrigen in Niedersachsen) ermittelte <strong>als</strong> Familientherapeut<br />

außerdem: 30 Prozent der Studenten in Göttingen sind psychisch gestört.<br />

Kontakt-Schwierigkeiten lagen mit 24 Prozent an der Spitze der Krankheitsskala. 17,5<br />

Prozent klagten über Leistungsabfall oder Versagen, 14,8 Prozent über depressive Verstimmungen,<br />

13,1 Prozent über Sexu<strong>als</strong>törungen und 12, 8 Prozent über mangelndes Selbstwertgefühl. Jeder<br />

fünfte Studienanfänger gibt auf oder verlässt die Universität ohne Examen. Sie sind dem<br />

Leistungsdruck nicht gewachsen. Wie stark inzwischen Vorlesungen, Übungen und Klausuren<br />

verschult sind, zeigen Beispiele an der Universität Hamburg :<br />

• Bei den Betriebs- und Volkswirten gibt es kein Seminar mehr, in dem das zuvor<br />

eingetrichterte Wissen zum Schluss nicht abgehört wird.<br />

• In der Steuerlehre bei Professor Lutz Fischer müssen die Studenten zu<br />

Semesterbeginn eine Eingangsklausur schreiben. Diejenigen, deren Ergebnisse unter<br />

dem Durchschnitt liegen, werden von dem Hochschullehrer von den Vorlesungen<br />

ausgeschlossen.<br />

• Im romanischen Seminar lesen Studenten wie in der Schule den Dozenten<br />

Sprachtexte vor, Vokabeln werden gebüffelt und abgefragt.<br />

Nach vier Semestern gibt es Zwischenprüfungen. Studenten, die vom Staat Gelder über<br />

das Bundesausbildungsförderungsgesetz BAföG) bekommen, erhalten keine Mark mehr, wenn sie<br />

ihr Klassenziel nicht vorschriftsmäßig erreicht haben. Der Romanistik-Student Kurt Edler: "Eine<br />

eigenständige Fächerauswahl ist fast nicht mehr möglich, weil wir mit Lernarbeiten eingedeckt<br />

sind." Sein Kommilitone Peter Villrock stöhnt: "Zensiert wird hier wie auf der Penne und gesiebt<br />

ohne Rücksicht auf Verluste.<br />

Trotzdem steigt die Studienzeit ständig, von durchschnittlich 5,7 Jahre (1970) auf 6,3<br />

Jahre (1972). Der Grund : Gut die Hälfte der 780.000 Hochschüler muss nebenher arbeiten, um<br />

das nötige Geld zum Lebensunterhalt zu verdienen. Nach einer Berechnung des Deutschen<br />

Studentenwerks betragen die effektiven Studienkosten monatlich 660 Mark. Ein Hochschüler<br />

verbraucht heute : Für Verpflegung 250 Mark, für Miete 150 Mark, für Kleidung 50 und für<br />

Bücher, Fahrgeld sowie Utensilien 150 Mark. Die Bundesregierung aber erhöhte die Stipendien nur<br />

von 420 auf 500 Mark. Die Folge: 312.000 Studenten arbeiten während der Vorlesungszeit. Jede<br />

Stunde, die gejobbt wird, muss hinten ans Studium drangehängt werden. Dazu Psychologiestudent<br />

Jochen Hahne: "Wenn sich unsere soziale Lage nicht erheblich verbessert, werden wir bald noch<br />

länger studieren.<br />

Der doppelte Stress - Leistungsdruck im Hörsaal und Finanznot auf der Bude -<br />

entwickelte bei der Mehrheit der Studenten eine "Arbeitnehmermentalität", so das Münchner<br />

Sozialforschungsinstitut Infratest. Beispiele: In Marburg, Köln und Hamburg übernahmen<br />

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