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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Marktpreis für junge Frauen beläuft sich derweil um die 5.000 Euro. Und überhaupt - wer sich<br />

heute in Frankreich "goldene Hoden verdienen" will ("se faire des couilles en or") passt sich in<br />

seinem Gebaren in die Attitüden eines kapitalen auf Arbeitsplätze bedachten gesellschaftlichen<br />

Umfelds nahtlos ein. Wer will denn schon etwas gegen seriös firmierende Reiseveranstalter, gar<br />

Künstlervermittler sagen, die junge Ballettgruppen aus Russland oder Gabun zu ihren<br />

"Inszenierungen" an die Côte d'Azur verfrachten? Auftritte, die nur zwei Schauplätze kennen: das<br />

Hotelbett, wenn es gut geht; ganz sicher aber die Liege im Transporter am Straßenrand.<br />

Marseilles Zuhälter zocken natürlich nicht grundlos in der Bar Américan auf dem<br />

Boulevard de la Pomme. Einen "Gefahrenherd", wie sie es nennen, gilt es zu beobachten. Auf der<br />

anderen Straßenseite liegt ein Anwesen, das ihnen die sicher gewähnte Erwerbsquelle zu nehmen<br />

scheint. Es ist das größte der landesweit fünfzehn Trutzburgen für Frankreichs Frauen, die sich<br />

von der Prostitution befreien, die aussteigen wollen. Eben ein "Schutzbunker für Huren" (Camp de<br />

retranchement pour les putes), wie er im Volksmund genannt wird. Und es werden immer mehr<br />

der offiziell etwa 200.000 Prostituierten der Republik, die in die Obhut der katholischen Kirche<br />

flüchten -notgedrungen sozusagen.<br />

Immer wieder ist es derselbe Grund, den die Frauen angeben, wenn er ihnen nicht schon<br />

ersichtlich ins Gesicht geprügelt wurde. Männergewalt und nochm<strong>als</strong> Zuhältergewalt. Zwei Drittel<br />

der Prostituierten Frankreichs mussten sich im Hospital schon ambulant behandeln lassen.<br />

Spätestens seit dem gesetzlichen Verbot der Irma-LaDouce-Romantik in den Stundenhotels Mitte<br />

der siebziger Jahre gehören Fausthiebe zum gewöhnlichen Tagesverlauf. Zuhälter haben es halt<br />

schwerer, die Gelder von ihren Opfern an unübersichtlichen Ausfallstraßen einzutreiben.<br />

Prostitution ist in Frankreich zwar seit jeher vom Staat erlaubt, doch nur von Frauen, die<br />

sich offiziell registrieren lassen, sich wöchentlich einer ärztlichen Kontrolle unterziehen und ihren<br />

gültigen Gesundheitspass auf dem Straßenstrich bei sich haben. Bordelle, wie in Deutschland<br />

üblich, mussten in Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg schließen. Offiziell hat der Staat schon<br />

seit Jahrzehnten der Zuhälterei den Kampf angesagt. Auf der Strecke bleiben Frankreichs<br />

Prostituierte, die sich in einem Zwei-Fronten-Krieg befinden; auf der einen Seite Zuhälter, auf der<br />

anderen Polizisten - meist ebenfalls Männer. Außer der Gendarmerie - nur für Festnahmen<br />

zuständig kümmert sich kaum jemand um misshandelte Frauen. Auch in den Sozialämtern ist die<br />

Hilfe eher kümmerlich. In Marseille stapeln sich in dieser Behörde hinter den Schreibtischen Kisten<br />

voller Kondome, die an viele Frauen aus dem Gewerbe im Sechserpack samt Sozialhilfe- Scheck<br />

(etwa 400 Euro monatlich ) verteilt werden. "Sonst", urteilt Referatsleiterin Bernadette Fichard,<br />

"verwalten wir nur noch den Notstand; besser gesagt eine Erosion. Denn geholfen wird uns von<br />

dieser Regierung nicht. Es fehlt an Geld, Gebäuden und Personal. Tatsächlich sind es<br />

Berührungsängste dieser Herren -wenigstens tagsüber."<br />

An diesem Nachmittag liefert die Polizei die 23jährige Ninou im Schutzbunker ab. In<br />

ihren guten Tagen stand sie am Boulevard Michelet. Zu jener Zeit absolvierte Ninou noch eine<br />

Ausbildung zur Drogistin und ging nur in den Abendstunden gelegentlich auf den Strich. Als die<br />

Drogerie unverhofft Konkurs anmeldete, fand Ninou - wie so viele junge Mädchen in Frankreich -<br />

keine Lehrstelle mehr. Die Prostitution wurde ihr Broterwerb. Schon zwei Mal hatten die<br />

Zivilfahnder Ninou gestellt - dam<strong>als</strong> in ihren besseren Tagen. Seinerzeit beklagten sich Anwohner,<br />

weil sie vor ihren Wohnungen auf Kondomen ausgerutscht waren. Wegen "öffentlichen<br />

Ärgernisses" bekamen Ninou und ihre Kollegin Sylvie seinerzeit eine Ordnungsstrafe von 500<br />

Euro. Seither war Ninou auf dem Boulevard Michelet nicht mehr gesehen worden. An diesem<br />

Freitagnachmittag stoßen die Zivilfahnder auf der Straße nach Cassis auf ein bekanntes Gesicht,<br />

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