07.02.2013 Aufrufe

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Energieimporte um die Hälfte zu reduzieren - somit die Wirtschaftskraft der Nation beträchtlich zu<br />

stärken.<br />

Praktisch bildet der nationale Stromversorger Electricité de France (EDF) mit seinen<br />

145.000 Angestellten, <strong>als</strong> größter Stromexporteur Europas, einen Staat im Staates - weder von der<br />

Politik maßgeblich kontrolliert, noch gesellschaftlich mit seinen ehrgeizigen Atomprogrammen<br />

thematisiert, gar kritisiert. In Frankreich ist das kein zentrales Thema. Immerhin durften die<br />

Abgeordneten des Pariser Parlaments gelegentlich auch schon mal über Energiepolitik debattieren -<br />

dreimal in den vergangenen zwanzig Jahren. Neue Minister können kommen, alte Regierungen<br />

gehen, nur gegen den Club der Nukleokraten "gegen diesen militärisch-industriellen Komplex,<br />

hatte bisher so niemand eine reelle Chance", beteuert Madame Huguette Bouchardeau, die Anfang<br />

der achtziger Jahre <strong>als</strong> Umweltministerin scheiterte. Allesamt bilden sie eine Kaste: dieselbe<br />

Eliteschule, dasselbe Pariser Wohnviertel und die gleiche Denkweise: Ermattet fügt sie hinzu:<br />

"Selbst Sozialisten, die <strong>als</strong> Atomkraftgegner Industrieminister wurden, kamen <strong>als</strong> Befürworter<br />

wieder heraus."<br />

Aber auch sonst ist in Frankreich die Akzeptanz der Kernenergie in allen<br />

gesellschaftlichen Lagern sehr hoch. Ob links oder rechts in der politischen Gesäßgeografie des<br />

Parlaments, <strong>als</strong> technikfreundlich und fortschrittlich empfunden sie sich allesamt. Lediglich die<br />

beiden Umweltparteien gingen auf Distanz zur "nuklearen Festung", aber eher kleinlaut und<br />

halbherzig. Denn ausgesprochene Gegner des Atomstroms sind auch sie keineswegs. Immerhin<br />

betragen die umweltzerstörenden Kohlestoff-Emissionen in Frank-reich nur 1,9 Tonnen pro<br />

Einwohner eine im internationalen Vergleich äußerst niedrige Zahl.<br />

Gewiss, die mitunter rigorose Ablehnung der Kernenergie, die über Jahre andauernden<br />

Protestmärsche samt AKW-Blockaden wirken in Deutschland vornehmlich bei den Grünen und<br />

auch Teil der Sozialdemokratie identitätsstiftend. Diese leidenschaftlich vorgebrachte Anti-<br />

Atomkraft-Politik beeinflusst junge Generationen in ihrem Denken, Fühlen und Handeln<br />

maßgeblich. Sie zählt zu den letzten verlässlichen Erkennungsmerk-malen politischer<br />

Gesinnungsethik in dem konturlosen und abgefeimten Allerlei politischer "Kultur". Aber die<br />

überwältigende Mehrheit der Franzosen ist diese beherzte Form dauerhaften Aufbegehrens fremd.<br />

Geht es doch um die Versorgungslage der Nation, die nun einmal ganz oben in der Werteskala<br />

rangiert. In Frank-reich bringt es selbst die großspurigste Atompolitik, welcher Regierung in Paris<br />

auch immer, nicht fertig, so zu provozieren, dass die alten ideologischen Klassengegensätze<br />

ausgehebelt würden und sich eine Protestbewegung bildete.<br />

Während sich in Berlin die Stromversorger und Politiker von SPD und Grünen zumindest<br />

zeitweilig konsensfähig um Gedanken über den "Einstieg in den Ausstieg" mühten, gar eine<br />

Verlängerung der Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke pauschal ablehnten, gibt es in der<br />

französischen Sprache nicht einmal eine Entsprechung für das bedeutungsschwere Wort<br />

"Ausstieg". In Paris jedenfalls werden solche Gedankenspiele von vornherein abwegig genannt.<br />

Statt dessen soll bis spätestens zur Jahrtausendwende die Vision Wirklichkeit und der "Reaktor der<br />

Zukunft" REP 2000 einsatzbereit sein, technologisch ausgereifter, noch sicherer, heißt es. EDF-<br />

Generaldirektor Jean Bergougnoux sprach sogar von einem "erheblichen Bedarf" neuer<br />

Kernkraftwerke, mit denen er das Land überziehen beabsichtige. Selbst die Möglichkeit, dass ein<br />

Reaktorkern schmelzen könne, wird nunmehr öffentlich ins Kalkül einbezogen, aber nur um<br />

Angst-schwellen stückchenweise weiter abzubauen. Eine aberwitzige Eventualität, die früher stets<br />

kategorisch ausgeschlossen worden war.<br />

583

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!