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denn das Lokfahren mit der Politik zu tun?") wurde ungewollt zum Fernsehstar im westlichen<br />

Ausland. Seither gehört das deutsche Wort "Berufsverbot" genauso wie "Kindergarten" oder<br />

"Ostpolitik" zum internationalen Sprachgebrauch. Auch der Bundes-präsident Walter Scheel (1974-<br />

1979) vermerkte "mit Sorge, dass der Radikalenerlass zu rigoros gehandhabt wird".<br />

Die Angst vorm Berufsverbot macht die jungen Studenten an den Universitäten zu<br />

angepassten Duckmäusern. Aus Sorge um den künftigen Arbeitsplatz bitten sie bei Seminararbeiten<br />

um unpolitische Themen. Der Gießener Politologe Professor Heinz Josef Varain berichtet, dass auf<br />

ausdrücklichen Wunsch der Studenten vervielfältigte Referate ohne Namen des Verfassers verteilt<br />

wurden - ausgerechnet bei dem Thema "Die bürgerlichen Freiheitsbewegungen gegen die<br />

Restauration Mitte des 19. Jahrhunderts". Das neue Hochschul-Ordnungsrecht gibt zudem den<br />

Rektoren die Möglichkeit, Studenten, die durch Demonstrationen oder Sit-ins den Lehrablauf auf<br />

dem Campus oder im Hörsaal stören, disziplinarisch zu bestrafen: vom Hausverbot bis zum<br />

Rausschmiss aus der Uni.<br />

Die westdeutsche Restauration schlug sich vor allem in der Verschärfung des erst vor<br />

wenigen Jahren liberalisierten Strafrechts und Strafverfahrensrechts nieder:<br />

• Seit dem 1. Januar 1975 kann das Gericht einen Verteidiger vom Verfahren<br />

ausschließen, wenn er unter dem Verdacht steht, selbst an der Tat des Beschuldigten<br />

beteiligt gewesen zu sein oder den Kontakt mit dem Beschuldigten zu Straftaten bzw.<br />

zur "Gefährdung der Anstaltssicherheit" zu miss-brauchen. Ein Beispiel aus der<br />

Praxis: Der vom Baader-Meinhof-Verfahren ausgeschlossene Anwalt Christian<br />

Ströbele wurde ein Jahr später vom Bundesgerichtshof zum Pflichtverteidiger einer<br />

Angehörigen der Baader-Meinhof-Gruppe bestellt. Offensichtlich hatten sich die<br />

Einwände gegen ihn <strong>als</strong> nicht stichhaltig erwiesen. Dazu der Bonner Strafrechtler<br />

Professor Gerald Grünwald: "Die Gefahr ist beträchtlich, dass man sich unbequeme<br />

Verteidiger vom H<strong>als</strong>e schafft."<br />

• Das Gericht darf seitdem auch in Abwesenheit der Angeklagten verhandeln -<br />

allerdings nur bei Störungen durch Tumulte oder bei bewusst herbeigeführter<br />

Verhandlungsunfähigkeit. Die Praxis: Im Baader-Meinhof-Verfahren wurden die in<br />

Hungerstreik geretenen Angeklagten ausgeschlossen: der Bundesgerichtshof aber<br />

stellte später fest, die Verhandlungsunfähigkeit sei primär auf die<br />

Haftbedingungen und nicht auf den Hungerstreik zurückzuführen.<br />

Der Schriftverkehr zwischen Verteidigern und Beschuldigten darf unter bestimmten<br />

Voraussetzungen überwacht werden. Eine Korrespondenz über Verteidigungsmöglichkeiten ist<br />

damit undenkbar. Selbst der stockkonservative Anwaltsverein protestierte gegen diesen Eingriff in<br />

elementare Rechtsstaatsprinzipien.<br />

Wer verdächtigt wird, einer terroristischen Vereinigung anzugehören oder sie zu<br />

unterstützen, kann künftig ohne weiteres in Haft behalten werden. Bei ihm entfallen die sonst<br />

notwendigen Kriterien: Flucht-,Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr.<br />

Auch die Anzeigepflicht wurde ausgeweitet. Der Polizeibehörde muss Meldung machen,<br />

wer irgendwo mitbekommt, dass Sympathie- oder Solidaritätserklärungen für Terroristen<br />

abgegeben werden. Unterlässt er die Meldung, macht er sich strafbar, Professor Grünwald: "Ein<br />

Staat, der seine Bürger derart in die Pflicht nimmt und bloßes Schweigen bestraft, schafft sich seine<br />

politischen Straftäter mutwillig selbst."<br />

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