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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Sie kam aus der ländlichen Bildungsarbeit, der sie sich über sieben Jahre lang mit einem<br />

Engagement gewidmet hatte, das zu ihren bemerkenswertesten wie nachhaltigsten Eigenschaften<br />

gehört. Als Dozentin in der Erwachsenenbildung in Bethel besaß sie noch genügend Energie, um<br />

sich in einer Bauernoppositionsgruppe - die in Westfalen das "Bauernblatt" herausgab - mit<br />

agrarpolitischen Problemstellungen auseinanderzusetzen. In ihrem Tagebuch " ... und wehret euch<br />

täglich" beschrieb die studierte Theologie ihre Arbeitsstelle mit der ihr eigenen Wehmütigkeit <strong>als</strong><br />

einen "Ort für die Suche nach dem Selbstbewusstsein der Menschen des ländlichen Raumes". Vom<br />

Lindenhof, der Begegnungsstätte für Jung und Alt, nach Bonn.<br />

Dam<strong>als</strong> traten die Grünen in Nordrhein-Westfalen mit einer offenen Liste an ( das<br />

machen sie heute nicht mehr), die für eine politische Grundüberzeugung stand: Die Grünen<br />

wollten damit Vertretern von Basisbewegungen volksnahen Einfluss auf ihre parlamentarische<br />

Arbeit sichern. Deshalb suchten sie eine Zusammenarbeit mit dem "Bauernblatt". Die Landwirte<br />

blieben skeptisch und wollten nicht von ihren Höfen weg. Antje Vollmer war zur rechten Zeit auf<br />

dem rechten Platz, und zudem war auch bei den Grünen der Gedanke virulent, dass eine Frau -<br />

natürlich - ein Plus wäre. Auf der Delegiertenversammlung der Grünen in Geilenkirchen. wo die<br />

Landeslistenplätze vergeben wurden, schnupperte Antje Vollmer zum ersten Mal die Atmosphäre<br />

eines mit fünfhundert Menschen gefüllten Saales, war überwältigt und rannte immer wieder raus.<br />

Der Kandidatenbefragung konnte sie sich freilich nicht entziehen, und es dauerte Stunden. Ihre<br />

anfängliche Irritation wich plötzlich dem Gefühl von Kontinuität.<br />

Diesen Wandel hielt sie in ihrem Tagebuch fest: "Für einen Moment stellte sich für mich,<br />

seinerzeit auf der Delegiertenversammlung in Geilenkirchen, meine ganze Lebenserfahrung auf den<br />

Kopf. - Alles, was mir bisher Schwierigkeiten gemacht hatte, hier bei den Grünen, gerät zu meinen<br />

Gunsten ...". Neugierig und couragiert wie sie ist, begibt sie sich tags darauf auf Erkundungsfahrt,<br />

versucht sich ein Bild von den Grünen zu machen, von einzelnen Personen, von den Flügeln und<br />

Richtungen innerhalb der Partei, von den Drahtziehern und den Kritikern, von der Grünen Art zu<br />

streiten, zu diskutieren, Probleme auszutragen. In ihrem ersten relativen kurzen Wahlkampf zog<br />

Antje Vollmer vor allem über Land, von Dorf zu Dorf, wo sie sich plötzlich <strong>als</strong> Rednerin in Sachen<br />

grüner Politik wiederfand. Auch hier kein Anflug von Selbstgefälligkeit, sondern kritische<br />

Selbstreflexion, darüber, dass sie zu zaghaft sei, noch zu sehr Dozentin, zu viel referiere und nicht<br />

nahe genug an die Leute herankomme. Antje Vollmer im Jahre 1983: erste Gehversuche <strong>als</strong><br />

Politikerin und der feste Vorsatz, es muss anders, besser werden. Ihre Vorstellung vom Bonner<br />

Abgeordneten-Dasein deckte sich nicht mit der Realität, dazwischen schoben sich die von den<br />

Medien vermittelten Klischees.<br />

Blickwechsel für Antje Vollmer; Einzug ins Hochhaus Tulpenfeld, ein von Hässlichkeit<br />

strotzender Betonklotz - der Bienenstock von Hunderten mehr oder weniger fleißigen<br />

Abgeordneten. Im fünften Stock die Geschäftsführung der Grünen. Für Antje Vollmer, gewöhnt<br />

an Arbeit im Grünen und in Ruhe, muss der Schock ziemlich groß gewesen sein: Hier klingelten<br />

die Telefone und schlugen die Türen ohne Unterlass, hier herrschte den ganzen Tag eine Rushhour<br />

der Informationen und Neuigkeiten. Ungewohnt war für sie der vom Frankfurter Sponti-<br />

Organ "Pflasterstrand" (dem alten) beeinflusste Sprachstil. welcher der in Sachen Sprache sensiblen<br />

Antje Vollmer Entgegenkommen abverlangte. Acht Stockwerke darüber richtete sich Antje<br />

Vollmer mit sieben Mitgliedern der Fraktion ein. Es gab für sie viel zu lernen: Lektion Nummer<br />

eins, die Flut der Papiere zu kanalisieren, damit man seine Tasche überhaupt nach Hause tragen<br />

kann, wo die Arbeit noch kein Ende nimmt. Trotz Wirrwarr und lockerem Chaos, wilden<br />

Diskussionen und theoretischen Unklarheiten - Antje Vollmer sah, dass viele ihrer Zukunftsideen,<br />

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