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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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wollte immer schon nach Afghanistan. In Istanbul habe ich einen deutschen Fixer getroffen. Wir<br />

sind zusammen durch die Türkei , durch den Iran bis nach Afghanistan getrampt. Ich war in Herat,<br />

das ist gleich die erste größere Stadt, wenn du rüberkommst. Solltest du dir ruhig merken. Ich war<br />

da aber ganz entsetzlich magenkrank mit hohem Fieber. Zwei Tage war ich schlimm beieinander.<br />

Ich konnte nicht schlafen, es war sehr heiß im August. Und zu meinem Freund habe ich gesagt,<br />

komm, gib mir einfach einen Schuss. Irgend etwas, was mich ein bisschen betäuben könnte. Weil<br />

ich Haschisch nicht mehr riechen konnte. Ich habe ihn beschwatzt, der wollte erst nicht. Na ja,<br />

dann doch. Und die Wirkung, die hat mir gut gefallen. Ich war immer an Drogen interessiert. Und<br />

da unten ist es optimal mit den Drogen. Ich hatte Geld und konnte in der Apotheke seelenruhig<br />

einkaufen. Fünf Monate später habe ich 2.000 Tabletten zurückgeschmuggelt, in einer kleinen<br />

metallenen Zigarrenkiste. An der Grenze habe ich die einfach in den Arsch gesteckt. Ungefähr die<br />

Hälfte konnte ich für prima Geld in Frankfurt und Darmstadt verkaufen."<br />

Ein Schock-Erlebnis brachte John nach zwei Jahren Drogenkonsum allmählich von der<br />

Fixe runter: "In Amsterdam, wo ich immer eingekauft habe, war ich auf einem Hausboot, da war<br />

immer en Haufen Fixer. Eines Abends bin ich da hingegangen, und da kratzte vor meinen Augen<br />

einer ab. Die haben diskutiert, was sie mit ihm machen sollen. Da war kein Gefühl mehr, da war<br />

nichts mehr drin, nur eine eiskalte Junkey-Mentalität. So ein Arschloch, dachten die, warum muss<br />

er ausgerechnet hier abkratzen. Werfen wir ihn einfach in den Kanal. Polizei können wir jetzt nicht<br />

rufen, ist zu viel Stoff an Bord."<br />

Nach dieser Uraufführung packte John Angst und Panik, mal selbst irgendwann<br />

abzunibbeln und ähnlich zu verrecken. Er flog von Amsterdam nach England zu seinen Eltern und<br />

ließ sich "trockenlegen", wie er es nennt. Er brauchte Monate - aber John schaffte es.<br />

Zurück in Deutschland, lernte John in einer Münchner Wohngemeinschaft seine Angela<br />

kennen. Es waren bewegte Zeiten, und John dachte immer nur an das Heute, "weil morgen ein<br />

ganz anderer Tag beginnt". Denn nichts sei von Dauer, auch nicht die Zweier-Beziehungen.<br />

Angela, noch verheiratet, liebte zwar John, schlief aber noch mit ihrem Mann. Es fiel ihr unendlich<br />

schwer, sich total von ihm zu lösen. Das wiederum trieb John "fast zum Wahnsinn". Er ist ein<br />

Freak, den die Eifersucht ab und zu böse erwischt. Aber es ist ihm wohl zuzuschreiben, dass<br />

Angela eines Tages aus dem beziehungslosen Allerlei raus wollte und nur mit ihrem John aufs Land<br />

zog. Dam<strong>als</strong> in der Stadt kam es keinem in den Sinn, auch nur einen Satz über Kinder zu verlieren,<br />

selbst in den sinnlichsten Momenten nicht. Auf dem Lande dagegen war der Wunsch auf einmal<br />

da, er wurde immer stärker und kommt auch nach zwei Kindern immer wieder.<br />

John sagt, ohne die Kinder könne er heute nicht mehr sein. Wenn John am Sonntag zum<br />

Weizenbier-Frühschoppen zu Göttlinger geht, nimmt er seine kleine Rebecca, kurz Beckie genannt,<br />

natürlich mit. Sie sitzt dann auf seinem Schoß und schlabbert Eis, manchmal pinkelt sie ihrem<br />

Vater auch auf die Hose. "Das macht nichts", meint John, "das trocknet wieder". und wischt mit<br />

seinem Hemdsärmel die Eisreste von Beckies Schnute.<br />

Es gibt wohl keinen auf dem Hof, der John nicht mag. Das liegt aber nicht nur an seiner<br />

handwerklichen Begabung, die die Intellektuellen bewundern, oder an seinem exzellenten<br />

Hanfanbau, von dem alle genüsslich profitieren. Vielmehr hat John eine natürlich Art, mit sich und<br />

seinen Problemen umzugehen. Er hat keine Komplexe, während die anderen schon ihr Dasein<br />

manchmal <strong>als</strong> Komplex empfinden. So kann John ungeniert über seinen psychischen Schutt reden,<br />

den er noch nicht abgetragen hat. Eine Offenheit, um die ihn die Übrigen insgeheim beneiden, weil<br />

sie nur unentwegt darüber theoretisieren, in Wirklichkeit aber sorgsam darauf achten, dass ihr<br />

"Müll" hermetisch verschlossen bleibt.<br />

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