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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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fügte er hinzu: "Den Krieg haben wir gewonnen, doch der Lebensstandard der Verlierer ist heute<br />

schon wieder viel höhe <strong>als</strong> bei uns. Na ja, wir Russen gewöhnen uns ja an alles."<br />

Auf unseren Spaziergängen durch Ostberlin fiel mir auf, wie interessiert Morosow<br />

Westautos nachschaute. Ich fragte ihn, ob er sich nicht auch einmal einen schnellen, modernen<br />

Wagen anschaffen wolle. "Für unsere Straßen ist der robuste Wolga doch viel besser", antwortete<br />

er ein bisschen unwirsch. Meine Frage war ihm wohl zu direkt.<br />

Skeptisch waren wir nach Ostberlin gekommen, unzufrieden verließen wir die DDR-<br />

Hauptstadt. Denn nur die Bulgaren und die DDR-Vertreter hatten sich uns gegenüber in<br />

gewohnter Weise devot verhalten, keinen Widerspruch gewagt. So lieferte uns der DDR-Professor<br />

Kurt Seidel eine Handvoll Adressen von Psychiatern in der Schweiz und in Österreich, von denen<br />

er glaubte, Professor Morosow könne das Abstimmungsverhalten dieser westlichen Kollegen in<br />

Honolulu noch positiv beeinflussen.<br />

Morosow wartete nicht lange und machte sich auf den Weg zu den Kollegen in Österreich<br />

und der Schweiz. Als er nach zehn Tagen heimkehrte, glaubte er gute Arbeit geleistet zu haben.<br />

"Für Honolulu ist alles noch offen", sagte er mir zuversichtlich. Er machte sich selber etwas vor,<br />

wie sich ein halbes Jahr später in Honolulu herausstellen sollte.<br />

Mich beauftragte Morosow dann, ihm für den Weltkongress eine Expertise über die<br />

Psychiatrie in den westlichen Ländern zu erarbeiten. Besonderen Wert legte er auf Informationen<br />

über die Bestimmungen für Zwangseinweisungen und über die gesetzlichen Voraussetzungen für<br />

die Begutachtung von vermeintlich geistesgestörten Patienten.<br />

Er hoffte, mit diesem Material bei den Diskussionen in Honolulu den Westen in die<br />

Defensive drängen zu können.<br />

Aus der westlichen Presse habe ich dann erfahren - ich hatte mich zwei Monate vor dem<br />

Beginn des Kongresses in Honolulu in den Westen abgesetzt -, wie die sowjetische Delegation<br />

meine Materialien ins Plenum einbrachte, um die berechtigten Attacken zu neutralisieren.<br />

Delegationssprecher Dr. Eduard Babajan beklagte in leidenschaftlichen Statements das mangelhafte<br />

Niveau der psychiatrischen Versorgung in der westlichen Welt.<br />

Doch Babajans Rhetorik brachte der sowjetischen Delegation nicht den erwünschten<br />

Erfolg. Der Weltkongress votierte für die amerikanische Resolution, in der "die missbräuchliche<br />

Anwendung psychiatrischen Wissens zum Zwecke der Unterdrückung abweichender Meinung"<br />

abgelehnt wird. Peinlicher war es für die Sowjetunion, dass dieser Antrag durchkam. Denn mit 90<br />

zu 88 Stimmen prangerte die Generalversammlung den Missbrauch der Psychiatrie in einem<br />

bestimmten Land an - in der UdSSR. Zum ersten Mal wurde damit Moskau vor der<br />

Weltöffentlichkeit verurteilt, die Psychiatrie gegen die Interessen der Menschen einzusetzen.<br />

Diese Grundsatzentscheidung hat im Westen viel zu wenig Beachtung gefunden. Die<br />

sowjetische Regierung nahm das Honolulu-Ergebnis immerhin so ernst, dass ihre großen<br />

Massenblätter nicht darüber berichten durften: Lediglich einige medizinische Fachzeitschriften<br />

lobten, ohne auf die Ergebnisse einzugehen, die "sachliche Atmosphäre auf dem Weltkongress".<br />

Und sie machten ihren Lesern weis, die sowjetische Delegation hätte in Honolulu den Versuch<br />

einer Wiederbelebung des Kalten Krieges erfolgreich abgewehrt.<br />

Natürlich werden die psychiatrischen Behandlungsmethoden und die sogenannten bunten<br />

Pillen (Psychopharmaka), wie sie in der Sowjetunion an der Tagesordnung sind, auch in den USA,<br />

der Bundesrepublik und allen anderen westlichen Ländern abgewandt und verabreicht. Nicht diese<br />

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