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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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vordergründigen Ruhe brächte. Und wenn, dann verschließt sich Erich noch mehr und taucht für<br />

lange Spaziergänge in den angrenzenden Wäldern unter -allein natürlich.<br />

Erich bezeichnet Irene <strong>als</strong> seine Frau, auch wenn sie unverheiratet sind und die beiden die<br />

Ehe <strong>als</strong> "bürgerliches Privateigentum in einer Männergesellschaft" charakterisieren. "Aber was soll<br />

ich zu ihr sagen", fragt er ein wenig hilflos, "Geliebte, das passt , Freundin ist mir zu flach und<br />

Lebensgefährtin zu oberschichtig." Also ist Irene seine Frau in der Fohrenbachhof-Kommune,<br />

noch dazu, wo sie ebenfalls einen Sohn haben, der Jan gerufen wird. Irenes Betonung liegt auf dem<br />

Wörtchen Gefühl. "Mensch, guck mal", sprudelt es aus ihr heraus, "wir leben auf dem Land, das ist<br />

unheimlich schön. Wenn das Wetter prächtig ist, wir unter dem Birnbaum zusammensitzen und<br />

Wein trinken. Das alles nach einem Tag, an dem wir ein Dach abgedeckt oder Heu reingeholt<br />

haben. Dann stellt sich einfach ein Lebensgefühl und ein Körpergefühl her, das die vermieften<br />

Stadtexistenzen gar nicht kennen; sozusagen ein Extra, ein Bonus für uns." Irene scheut sich nicht<br />

vor pathetisch klingenden Vergleichen, um sich und ihre Gefühlsansprüche zu erklären. Sie will<br />

jemanden lieben und hassen. Ihm sagen können, dass er eine "alte Arschgeige" ist, dass er seinen<br />

"erbärmlichen Scheiß" alleine machen soll, dass er gegenwärtig mit ihr kaum rechnen darf, weil sie<br />

bitter enttäuscht sei. Sie will es ihm einfach sagen können, ohne ihn gleich zu verlieren und ihm<br />

"grundsätzlich ihre Zuneigung zu entziehen". Ein Verhalten, das in der Stadt die wenigsten<br />

tolerierten; nicht einmal die eigene Familie oder die Mitbewohner in Wohngemeinschaften, in<br />

denen Irene zeitweilig lebte.<br />

Dafür bietet die Stadt zu viele Nebenschauplätze, zu viel Ablenkung, zu viele Ersatz-<br />

Freundschaften, zu viele Verdrängungsmöglichkeiten. Auf dem Fohrenbachhof jedoch, in der<br />

niederbayerischen Einöde, sind extreme Gefühlssprünge erlaubt, selbst wenn es für den einen oder<br />

anderen schmerzlich ausgeht. Denn wen es hierher verschlägt, der muss schon ein Quantum an<br />

Entschlossenheit mitgebracht haben, das Alteingefahrene hinter sich zu lassen. Sein Anliegen, in<br />

aller Abgeschiedenheit zu leben, verträgt sich nicht mit dem üblichen Stadtverhalten. Es würde ihm<br />

auch gar nicht gelingen, City-Allüren auf dem Lande zu kopieren, Konflikte auszuweichen, sie in<br />

Alkohol zu ertränken oder sie vorteilheischend herunterzuspielen. Auf dem Fohrenbachhof kann<br />

keiner vor sich selbst und vor den anderen flüchten. Außer in der Gruppe gibt es keine<br />

zwischenmenschlichen Kontakte, nicht einmal ein Telefon. Außer dem Hof gibt es nichts, nur eine<br />

durchdringende Ruhe, die jeden zuschnürt, der mit ihr nicht umzugehen weiß.<br />

Der Fohrenbachhof liegt tief im Niederbayerischen eingegraben, umgeben von<br />

großflächigen Feldern und dichten Wäldern, fernab von Bundesstraßen und Fabriken. Passau, die<br />

nächstliegende Stadt, haben manche einheimischen Bauern erst zwei- oder drei Mal in ihrem Leben<br />

gesehen. Der Hof war früher ein verlassenes, klappriges Gehöft mit zwei Hektar Land ohne<br />

Kanalisation und Elektrizität. Hätten ihn Erich, Irene, Hilde und Volker im Jahre 1975 nicht für<br />

85.000 Mark aufgekauft, er wäre allmählich verfallen. Es war ein Konjunkturpreis zu jener Zeit,<br />

weil in der Alternativen-Bewegung viele Freaks ihr Stadt-Getto mit einem beschaulich anmutenden<br />

Bauernhof einzutauschen versuchten. Die Gegend lässt einen Neuankömmling ihre Verlassenheit<br />

spüren. Für Tourismus ist der Landstrich nicht bizarr genug, für Industrieansiedlungen sind die<br />

Anfahrtswege zu weit. Armut und Arbeitslosigkeit werden in Niederbayern noch mit dem<br />

sonntäglichen Amen beantwortet. Kaum ein Bauer könnte hier ohne Nebenverdienst über die<br />

Runden kommen. Ein Hof, der halbwegs rentabel bewirtschaftet wird, benötigt en Betriebskapital<br />

etwa zwischen 150.000 und 200.000 Mark. Ihn zu erwerben, würde mindestens 2.5 Millionen Mark<br />

erfordern.<br />

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