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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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von ihrem Vater nicht mehr behaupten konnte. Wenn sich nur die Gelegenheit bot, ging sie ihm<br />

aus dem Weg. Und sie spürte tiefe Beklemmungen, musste sie mit ihm alleine reden.<br />

Aber reden musste Anna. Insbesondere in ihrer jetzigen Lage. Sie überwand sich dennoch<br />

nicht, zu ihrer Mutter zu gehen. Sie hatte das Gefühl, ihr den Schock ersparen zu müssen, erzählte<br />

sie ihr, was sich wirklich in der vergangenen Nacht ereignet hat. Sie wollte ihr nicht weh tun. Das<br />

hätte sie ja bereits getan, würde sie ihr offen gestehen, dass sie schon seit Längerem das Rauchen<br />

angefangen hatte. Deshalb verschwieg Anna ihr auch das. Anders wäre es, bekäme sie plötzlich ein<br />

Kind. Da würde Mutter sie nicht rausschmeißen. Sie würde ihr helfen. Ganz sicher. Anna vertraute<br />

sich niemande an. Nicht mehr an diesem Sonntag, sondern während ihres Arrests kritzelte sie zwei<br />

kleine Verse in ihr Tagebuch, von denen sie sich Stärke und Klarheit erhoffte, aber nicht bekam.<br />

ANNAS VERS ÜBER ILLUSIONEN<br />

"Was macht es so schwer zu verlieren,<br />

was einem ja doch nicht gehört,<br />

Träume vom „Hätte“ und „Könnte“ wollen erhalten,<br />

was längst ist zerstört.<br />

Was macht es so schlimm zu vergessen,<br />

was aus war, bevor es begann,<br />

Träume vom „Hätte“ und „Könnte“ setzen fort,<br />

was niem<strong>als</strong> fing an.<br />

Träume gehören in die Nacht,<br />

wie Vampire zerfallen sie bei Tageslicht."<br />

ANNAS ZEILEN ÜBER DIE EINSAMKEIT<br />

Kommunikation, wir stehen nebeneinander<br />

und tun so, <strong>als</strong> sprächen wir miteinander,<br />

doch im Grunde reden wir aneinander vorbei,<br />

Ich würd diese Wand so gerne durchbrechen<br />

und dir zeigen, was ich fühle."<br />

Aus dem melancholischen Tief zog sich Anna relativ schnell raus. Ihr Einsamkeitsgefühl<br />

dagegen, ihr Eindruck, unverstanden vor sich hinzuleben, und die Ohnmacht, dem anderen nicht<br />

vermitteln zu können, was man eigentlich meint, das hielt nach wie vor an. Eine innere Leere, die<br />

der gleichförmige Alltag mit seinen fest eingeteilten Zeiten und Abläufen nicht auszufüllen<br />

vermochte. Gut, Ablenkungen gab es, aber eben nur Ablenkungen .Anna hatte Ulli schon fast<br />

verdrängt oder vergessen, <strong>als</strong> dieser etwa nach einem halben Jahr in ihrem Blickwinkel wieder<br />

auftauchte. Ulli versuchte erst gar nicht, den starken Cliquen-Maxen zu mimen. Sie hatte auch<br />

nichts an sich, was ihn dazu hätte ermuntern können. Ganz im Gegenteil: Anna kapierte intuitiv,<br />

wie zerbrechlich und haltlos dieser Uli war, wie krampfhaft er sich nach einem ruhende Pol sehnte,<br />

an dem er sich auf- und hochrichten konnte, wie krampfhaft er von seiner Schule, seiner Clique<br />

und seiner Funkanlage sprach: all das, möglichst in einem Satz untergebracht. Ein Ulli in dieser<br />

seelischen Verfassung, das war Annas Stunde.<br />

Sie besuchte ihn einfach zu Hause. Oft stand sie zwei Mal in der Woche nachmittags vor<br />

seiner Wohnungstür. Manchmal klingelte sie auch vergeblich. Nicht Ulli, sondern Anna war über<br />

sich am meisten erstaunt, wie sie ihre Minderwertigkeitskomplexe langsam, aber erfolgreich abtrug.<br />

So verbrachten sie Nachmittag für Nachmittag: keine Abende oder Nächte, die Anna zu Hause sein<br />

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