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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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einen der seltsamsten Führer der Weltgeschichte: das "Psychiatrische Handbuch für den<br />

Dissidenten". In dieser Schrift, die bald darauf in den Westen gelangte, gaben Glusman und<br />

Bukowski Verhaltenstipps an all diejenigen, die in die gleiche Lage kommen wie sie selbst - die vor<br />

Psychiaterkommissionen Rede und Antwort stehen müssen.<br />

These 1: "Denken Sie daran, der Psychiater wird versuchen Sie einzukreisen, Sie<br />

einzuschüchtern, Aussagen von Ihnen zu erpressen und bei der Zusammenstellung Ihres Dossiers<br />

die Untersuchungsvorschriften gegen Sie auszuspielen. Besonders gefährlich ist dabei der<br />

Psychiater vom kleinbürgerlichen Typ. Seine Anpassungsfähigkeit ist extrem ausgeprägt. Wenn Sie<br />

über surrealistische Kunst sprechen, wird er Sie fragen: 'Können Pferde denn wirklich fliegen?' Bei<br />

der modernen Poesie wird er die Reime vermissen. Wir raten Ihnen, mit einem solchen Psychiater<br />

nicht über abstrakte Dinge wie Philosophie zu diskutieren. Versuchen Sie, sich seinem Niveau<br />

anzupassen. Bedenken Sie: Er hält Sie wirklich für geistesgestört, denn sein wichtigstes Argument<br />

ist: 'Sie hatten doch eine Wohnung, eine Familie, einen Beruf. Warum zum Teufel haben Sie das<br />

getan?' "<br />

These 2: "Denken Sie daran, Sie sind niem<strong>als</strong> in der Lage, der Kommission zu beweisen,<br />

dass Sie Opfer von Tricks und Provokationen geworden sind. Wenn Sie darauf bestehen, werden<br />

die Psychiater ihrer Diagnose noch hinzufügen: 'Leidet an Verfolgungswahn!' Versuchen Sie nicht,<br />

entsprechend Ihrer persönlichen Erfahrung zu argumentieren, sondern berufen Sie sich auf<br />

anerkannte Autoritäten und literarische Quellen. So vermeiden Sie, dass in Ihrem Gutachten der<br />

Begriff 'Überschätzung der eigenen Ideen' auftaucht."<br />

These 3: "Denken Sie daran, alles in Ihrem Leben war normal. Die Schwangerschaft Ihrer<br />

Mutter und Ihre Geburt sind planmäßig verlaufen. Sie haben rechtzeitig gelernt, sich aufzusetzen,<br />

zu gehen und Mama zu sagen. Sie haben niem<strong>als</strong> gern allein gespielt, waren nie Schlafwandler und<br />

sind so gern oder ungern zur Schule gegangen wie jeder andere. Sie haben sich für das andere<br />

Geschlecht in der Pubertät zu interessieren begonnen, und Ihre Sexualität hat auch später nicht den<br />

Rahmen des Anständigen gesprengt. Je normaler Ihr Leben und Ihre Herkunft erscheinen, desto<br />

schwieriger wird es Ihrem Psychiater fallen, Ihnen anormales Verhalten und frühzeitige Anzeichen<br />

von Geisteskrankheit zu unterstellen."<br />

These 4: "Denken Sie daran, Sie müssen die wahren Motive für Ihr oppositionelles<br />

Verhalten verschweigen. Am besten ist, Sie sagen: 'Ich wollte einfach berühmt werden.' - 'Ich habe<br />

nicht an so schwerwiegende Folgen gedacht.' - 'Ich habe nicht mitgekriegt, dass ich zu weit<br />

gegangen bin.' Diese Argumentation mag Ihnen unwürdig vorkommen, und sie ist sicher<br />

unerfreulich. Tatsache ist: Sie wird Sie bei Ihrem Psychiater ins beste Licht rücken."<br />

Ich habe noch nirgendwo eine so präzise und zutreffende Darstellung über die Denk- und<br />

Verhaltensweise der im Auftrage des KGB arbeitenden Psychiater gelesen wie in diesem<br />

"Handbuch". So nützlich diese Ratschläge auch sind. Bukowski und Grigorenko dämpften<br />

übertriebene Erwartungen: "Von dem Gewissen der Ärzte ist leider wenig zu erhoffen."<br />

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