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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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"Bin ich Französin oder Kurdin? Ich weiß es nicht mehr", sagte sie bei ihrer Rückkehr<br />

nach Paris. Tonnen um Tonnen an Nahrung und Medikamenten schickte sie auf die Reise: die<br />

Gattin des Präsidenten <strong>als</strong> Flugbegleiterin gleich neben den Kisten. Szenen Kräfte zehrende<br />

Selbstbehauptung in den Jahren der bewusst riskierten Regelverletzungen, des Affronts gegen<br />

Frankreichs etablierte Machteliten, die sich an Export-Ambitionen und eine flankierende<br />

Außendiplomatie zu halten pflegen, wenn es um die Dritte Welt ging. Es krachte zusehends<br />

heftiger zwischen den Außenpolitikern am Quai d'Orsay und Madame. Immer wieder waren es<br />

dieselben Interessenkonflikte. Frankreich verkaufte Waffen oder Atomkraftwerke - natürlich <strong>als</strong><br />

Entwicklungshilfe deklariert.<br />

Ob in China, Südamerika oder auch in Marokko - die unliebsame Danielle Mitterrand<br />

hatte längst ihre Paralleldiplomatie in Sachen Menschenrechte aufgebaut. Ihr blieb es vorbehalten,<br />

auf höflich unterkühlten Staatsempfängen Politiker-Frauen wie Hillary Clinton oder auch Olga<br />

Havel zu einem Netzwerk in puncto Zivilgesellschaft und Bürgerrechte zu motivieren. Sie blieb das<br />

stete Ärgernis, woraus schon 1990 der gaullistische Abgeordnete Erich Raoult die rigide Forderung<br />

ableitete, dieser "Brachi<strong>als</strong>ozialistin" müsse "das Handwerkzeug genommen werden".<br />

Aber ihre Grenzüberschreitungen ließen sich nicht nur geografisch verfolgen, Danielle<br />

Mitterrand wollte auch den Text der französischen Nationalhymne erneuern. Diktion wie Inhalt<br />

der "Marseillaise" waren ihr zu "kriegerisch", besonders Formulierungen von den "brüllend wilden<br />

Soldaten, die unsere Söhne und Frauen erwürgen und "deren Blut unsere Ackerfurchen tränkt"<br />

störten ihr Empfinden. Natürlich ein aussichtsloser Vorstoß, aber es entsprach ihrem<br />

Selbstverständnis. "Ich habe es satt, wie ein Paket des Präsidenten herum geschoben zu werden,<br />

artig Chrysanthemen-Shows zu eröffnen und die Pariser Mode zu repräsentieren. Mein ganzes<br />

Leben hatte ich einen Faltenrock und einen Pullover für den Winter und einen anderen Faltenrock<br />

und ein T-Shirt für den Sommer", konnte sie in aller Öffentlichkeit poltern.<br />

Ausgerechnet in diesem Jahr des Abschieds ist Danielle Mitterrand noch zusätzlich in eine<br />

unerwartete Ausnahmesituation geraten. Eine Herzoperation zwang sie, sich mehr Ruhe und Muße<br />

zu verordnen - sich Momente der Besinnung zu gönnen, der Fragen an eine sich schon auflösende<br />

Ära.<br />

Von ihrem Büro lässt sie den Blick herabgleiten auf das Weichbild der Metropole, die im<br />

letzten Monat vor der Präsidentenwahl viele bunte, überlebensgroße Männer-Plakate und über vier<br />

Millionen Quadratmeter leer- stehende Bürofläche kennt, aber keine Schmuddelkinder mehr<br />

duldet. Wer kein Geld hat, der wird aus diesem hypermodern herausgeputzten Paris der Alt- und<br />

Neureichen in die kaum vorzeigbaren Vorstädte, an die soziale Peripherie vertrieben wie in kaum<br />

einer anderen westlichen Hauptstadt. Dort, wo nach den Wahrnehmungen des<br />

Präsidentschaftskandidaten Jacques Chirac schon "die Gerüche und der Lärm" auf viele<br />

Einwandererfamilien schließen lassen.<br />

Auf ihrem Schreibtisch liegt das Gesprächskonzept für ihren letzten Termin an diesem<br />

Tag, es wird um den "Europäischen Pass gegen Rassismus" gehen. Erst vor wenigen Wochen ist<br />

der siebzehnjährige Komorer Ibrabim Ali in Marseille von Wahlhelfern der rechts- radikalen "Front<br />

National" des Jean-Marie Le Pen während einer Kundgebung zur Präsidentschaftswahl von hinten<br />

erschossen worden.<br />

Als ich mich schon verabschiedet habe, ruft sie mir noch hinterher: "Wer nicht handelt,<br />

begeht ein Verbrechen. Ich werde mit France Libertés kämpfen, bis ich umfalle..."<br />

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