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BRASILIEN: FURCHTLOSE KIRCHE GEGEN FOLTER UND<br />

BARBAREI<br />

Gotteswort hinter Gittern. Im größten Gefängnis in Sao Paulo erteilt ein<br />

katholischer Priester einem Häftling den Segen. In Jahrzehnten der Militärdiktatur (1964-<br />

1985) war die katholische Kirche in Brasilien die einzige Institution des Landes, die ihre<br />

Kritik an Folterungen, Massenverhaftungen, Erschießungen öffentlich erhob. Für<br />

Tausende politischer Gefangener und verfolgter Indios waren Gotteshäuser <strong>als</strong><br />

Unterschlupf ihre letzte Hoffnung. In dem Terror- und Willkürstaat des früheren General-<br />

Präsidenten Ernesto Geisel leistete die Kirche Roms beachtlichen Widerstand. Geheime<br />

Todesschwadronen hatten dam<strong>als</strong> den Priestern ihren Kampf angesagt. Killer- und<br />

Folterkommandos entführten, quälten und erschossen Geistliche, nur weil sie für<br />

Menschenrechte eintraten. Seit 1985 ist Brasilien zur Demokratie zurückgekehrt.<br />

stern, Hamburg 21. April 1977<br />

Der ältere Mann auf dem Beifahrersitz des grauen VW-Busses könnte Landwirt oder<br />

Landvermesser sein. Unter dem lichten Silberhaar ein braun gebranntes Gesicht, über dem Kaki-<br />

Hemd ein abgewetzter Anzug aus grober Baumwolle, die derben Hände umklammern den<br />

Haltegriff. Mit schnellen, prüfenden Blicken mustert er die Straße geradeaus und die Böschungen<br />

am Rande links und rechts. Die zusammengekniffenen Augen verraten die Anspannung. Dom<br />

Adriano Mandarino Hypólito (*1918+1996) ist katholischer Bischof von Nova Iguacu, einer<br />

Diözese mit einer Million Einwohner, 50 Kilometer von Rio de Janeiro entfernt. Seit September<br />

1976 weiß der 59jährige, dass selbst eine harmlose Überlandfahrt wie jetzt, da er sich von seinem<br />

20jährigen Neffen Fernando zur Inspektion der kirchlichen Wasserbohr-stelle chauffieren lässt,<br />

schrecklich enden kann.<br />

Über das, was an jenem 22. September 1976 geschah, redet Dom Adriano nicht gern.<br />

Nicht, weil ihn die Erinnerung an die Schmerzen noch quält, die ihm die Schergen dam<strong>als</strong><br />

zufügten. Nicht, weil er sich vor dem Neffen schämt, den er nicht vor den Schlägertrupp hatte<br />

schützen können. "Nein", sagt Dom Adriano, "das Schlimmste ist, sie haben meine Mutter<br />

beleidigt."<br />

Um 19 Uhr hatte der Bischof dam<strong>als</strong> sein Büro in der Diözesankurie im Zentrum von<br />

Nova Iguacu - Stadt und Provinz sind gleichnamig - verlassen. Auf dem Kirchplatz wartete sein<br />

Neffe Fernando in einem Volkswagen. Er hatte seine 18jährige Braut Pilar mitgebracht. Ehe<br />

Fernando seinen Onkel nach Hause brachte, wollte er schnell seine Verlobte bei ihren Eltern<br />

absetzen. Es war ein kurzer Weg. Der VW-Variant stoppte vor der Haustür.<br />

Als Pilar aussteigen will, sieht sie, wie zwei rote Volkswagen von der anderen Straßenseite<br />

heranrasen und den Bischofs-VW einkeilen. Sechs Pistolen bewaffnete Männer springen heraus. Sie<br />

tragen keine Uniformen. Einer schreit: "Das ist ein Überfall! Raus, sonst knallt's!"<br />

Dom Adriano ist so erschrocken, dass er sich nicht rühren kann. Einer der Männer reißt<br />

die Tür auf, zerrt den Bischof aus dem Wagen und stößt ihn auf das Straßenpflaster. Vier andere<br />

springen hinzu, packen den Geistlichen und prügeln ihn in den vorderen roten Wangen. Das<br />

Mädchen Pilar, das sich in den Eingang des Hauses geflüchtet hat, hört den Geistlichen noch rufen:<br />

"Mein Bruder, was habe ich dir getan?"<br />

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