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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Meine Aufgabe war es, tagsüber im Tagungshotel "Newa" und abends im Hotel "Stadt<br />

Berlin" am Alexanderplatz die Meinungen und Standpunkte der Konferenzteilnehmer unauffällig<br />

zu erkunden. Jeden Abend, so gegen 21. 30 Uhr, musste ich Morosow Bericht erstatten. Mein Chef<br />

bestand darauf, dass ich zum Rapport nie in seinem Zimmer oder in einem anderen Raum des<br />

Ostberliner Diplomaten-Hotels erschien. "Hier sind überall Wanzen und Richtmikrofone<br />

installiert", sagte Morosow. "Unsere Genossen aus der DDR sind so perfekt, die hören jeden ab."<br />

Also trafen wir uns abends nach den Sitzungen vor dem Hotel, schlenderten durch die<br />

Ostberliner Innenstadt und diskutierten die Neuigkeiten. Die Situation war alles andere <strong>als</strong><br />

erfreulich. Die rumänischen Delegiertenwaren gar nicht erst nach Ostberlin gekommen, obwohl sie<br />

ihre Teilnahme zugesagt haben. Und die Kollegen aus Polen und Ungarn machten in Gesprächen<br />

unter vier Augen keinen Hehl aus ihrer Kritik an unserem System der Zwangseinweisung in die<br />

psychiatrischen Kliniken.<br />

Professor Morosow war außer sich. "Das wird persönliche Konsequenzen haben", sagte<br />

er und machte eine wegwerfende Handbewegung, so <strong>als</strong> wisse er schon ganz genau, wie die<br />

sozialistischen Bruderstaaten auf Vordermann zu bringen seien. Und in der Tat hatte Morosow die<br />

Mittel dazu, denn <strong>als</strong> "Serbskij"Chef ist er einflussreicher <strong>als</strong> mancher ranghohe Politiker und<br />

Diplomat der UdSSR. Der Versuch in Ostberlin, untergeordnete Kollegen zu beeinflussen, gehörte<br />

zu den Ausnahmen. Gewöhnlich schwebt er nur in höheren Regionen. Eine Einladung, in der<br />

sowjetischen Botschaft in Ostberlin einen Vortrag zu halten, ließ er einfach unbeantwortet. "Für<br />

wen halten die mich eigentlich? Wenn ich über Psychiatrie berichte, fange ich unter dem<br />

Zentralkomitee gar nicht erst an."<br />

Professor Morosow hat exzellente Verbindungen zu den mächtigsten Männern der<br />

Sowjetunion. Beim KGB-Chef Jurij Andropow geht er ein und aus. So wusste er schon Monate im<br />

voraus, dass sein Freund Konstantin Rusakow Sekretär des Zentralkomitees der KPdSU werden<br />

würde. Auch hat Morosow ganz offenkundig das uneingeschränkte Vertrauen des Politbüros<br />

besessen. Denn er wird immer wieder für Auslandsaufträge mit der höchsten Geheimhaltungs-stufe<br />

herangezogen. In Ostberlin erzählte er mir, <strong>als</strong> wir wieder einmal abends unsere Runde machten,<br />

von einem besonders brisanten Auftrag.<br />

Ende 1974 war Morosow auf Befehl des Politbüros nach Prag gefahren. Er sollte den<br />

tschechoslowakischen Staatspräsidenten Ludvik Svoboda auf seinen Geisteszustand untersuchen.<br />

Svoboda, mit den höchsten sowjetischen Orden ausgezeichnet, war für die Prager Parteiführung<br />

und damit für Moskau zu einem Problemfall geworden. Der 79jährige Staatspräsident galt bei<br />

vielen Tschechen und Slowaken nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen 1968 in Prag <strong>als</strong><br />

die letzte verbliebene Symbolfigur ihrer nationalen Souveränität und damit des Prager Frühlings.<br />

Keine Frage, Morosows Gutachten fiel so aus, wie es die sowjetische Parteiführung<br />

erwartet hatte: "Stark fortschreitende Arteriosklerose mit Demenz-Erscheinungen" (Demenz =<br />

ausgeprägter Abbau von Intelligenz bei Greisen). Aufgrund dieses Gutachtens wurde Ludvik<br />

Svoboda gezwungen zurückzutreten, obwohl seine Amtszeit erst im Jahre 1978 abgelaufen wäre.<br />

Ich war betroffen, mit welchem Zynismus Morosow mir diese Geschichte erzählte.<br />

Wenige Minuten später, so <strong>als</strong> sei nichts gewesen, plauderte mein Chef schon wieder wie<br />

ein Tourist über das ostdeutsche Wirtschaftswunder. Er war beeindruckt, wie viele Waren in den<br />

Schaufenstern auslagen. Zwei Mal zog ich mit ihm los, um zwanzig Zimmermannstifte für seinen<br />

Werkzeugkasten und fünf bunte Emaillentöpfe einzukaufen. "So gut und billig bekomme ich diese<br />

Sachen in Moskau nicht, deshalb nehme ich gleich Vorrat mit", sagte er. Und etwas nachdenklich<br />

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