07.02.2013 Aufrufe

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Für den evangelischen Pfarrer Schmidt - er wurde nicht ganz unfreiwillig 1982 in den<br />

Ruhestand verabschiedet - ist die sonderbare Huth-Erzählung die larmoyante Lebensgeschichte<br />

eines Debilen, "mit dem", so die Chefpsychiaterin Preußner-Uhde, "die Fantasie laufend durchgeht,<br />

der sich und seine Umwelt nicht einzuschätzen weiß, der selbstsüchtige Thesen über die<br />

Vergangenheit herbei konstruiert und so gar <strong>als</strong> Dr. med. Albert Huth tituliert". - "Nein", bedeutet<br />

der Anstaltsleiter, "was wir brauchen, das sind Pfleger von Format, die solche Patienten wie Albert<br />

Huth leiten und lenken können. Und die Chefpsychiaterin schiebt sogleich ihr Bekenntnis<br />

ungefragt hinterher: "Wir Alsterdorfer sind schon objektiv. Das können Sie mir ruhig glauben."<br />

So wundert es in Alsterdorf heute eigentlich niemanden, dass Albert Huth auch nach dem<br />

Kriege dort blieb, wo er zuvor gewesen war: hinter Anstaltsgittern.<br />

Denn was sollte sich bei dieser dezidierten Diagnose für Pflegling Huth auch ändern? Der<br />

Anstaltsarzt Kreyenberg, ein überzeugter Nation<strong>als</strong>ozialist und Rassist, hatte ihm schon 1940<br />

"totalen Schwachsinn" attestiert, wie sich ein Kenner der Akte erinnert. Pfarrer Schmidt streitet das<br />

ab. Die späteren Ärzte sahen offensichtlich keine Veranlassung, sich näher mit der Huth-Diagnose<br />

zu befassen. Jedenfalls war Huths Entmündigung im Jahre 1947 - dam<strong>als</strong> wurde er 21 Jahre alt -<br />

eine Routinesache. Er bekam, so geht es aus den Unterlagen hervor, auch weiterhin Prügel von<br />

Pflegern wie Gerner. Er hatte sich erdreistet, eine Entschädigung für seine Sterilisation zu fordern.<br />

Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, soll er immer um sich geschlagen haben.<br />

Albert Huths Schicksal ist in Alsterdorf zu Hamburg kein unrühmlicher Einzelfall. Der<br />

Pressesprecher der Anstalt: "Wir haben hier um die 80 solcher Leute." Sie kamen mit geringfügigen<br />

oder nur vermeintlichen Behinderungen in die Anstalt; aber statt zu heilen, verschärfte die neue<br />

Situation ihre Leiden erst wirklich. Doch während viele von Huths Leidensgenossen nur noch<br />

weltfern vor sich hindämmern, begann er schon bald nach dem Kriege <strong>als</strong> "Schwachsinniger" Brief<br />

um Brief zu schreiben: mal an den Alliierten Kontrollrat, mal an die BBC in London, mal an die<br />

Kripo in Hamburg, die schließlich im Jahre 1959 in Alsterdorf vorbeischaute. Ein Blick in Huths<br />

Akte und besänftigende Worte genügten, und der Fall schien erledigt.<br />

Es dauerte immerhin ganze acht Jahre, bis der Hamburger Staatsanwalt Dr. Dietrich<br />

Kuhlbrodt - 1967 - unverhofft in der evangelischen Anstalt auftauchte und die beschauliche<br />

Ordnung des Alsterdorfer Verwaltungsapparates durcheinanderbrachte. Aufgestört durch einen der<br />

vielen Huth-Briefe wollte der Ankläger in Akten einblicken. Er ermittelte gegen den ehemaligen<br />

Anstaltspfarrer Lensch. Doch die Akten waren angeblich nicht mehr vorhanden. Kuhlbrodt: Drei<br />

Mal fragte ich nach den Unterlagen. Drei Mal wurde ich beschieden. 'Wir haben nichts mehr, alles<br />

ausgebombt.' Dann bin ich auf eigene Faust in den Keller gestiegen und habe die Materialien<br />

gefunden, die ich suchte."<br />

Vorher hatte sich Kuhlbrodt vorsorglich bei Huths von den Behörden eingesetzten<br />

Vormund informiert, ob sein Mündel tatsächlich unzurechnungsfähig sei. Im Gegensatz zur<br />

Anstalt kam dieser zum Schluss, Huth habe ein normales Erinnerungsvermögen, seine Angaben<br />

seien präzise und wahrscheinlich unwiderlegbar. Kuhlbrodt sagt heute: "Ob schwachsinnig oder<br />

nicht, Huths Fakten waren nicht mehr vom Tisch zu kriegen."<br />

Für den dam<strong>als</strong> 34jährigen Staatsanwalt begann die größte Ermittlungsaktion, die er<br />

bislang geführt hatte. Nach siebenjähriger emsiger Kleinarbeit füllen in Sachen Alsterdorf 7.800<br />

Blatt insgesamt 44 Aktenordner und die Anklageschrift (Az: 147/Js58/67) umfasste 870 Seiten. Für<br />

den Prozess sollten 238 Zeugen geladen werden. Im Zentrum der Ermittlungen stand der frühere<br />

Seemannspfarrer Friedrich Jentsch, der 1930 zum Direktor der Alsterdorfer Anstalten avanciert<br />

360

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!