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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Wir fuhren auf einem Boot im riesigen Delta des Rio de la Plata. Wir passierten unzählige<br />

Inseln mit alten Hotels, schwedischen Häusern, Villen, Hubschrauber-Landeplätzen auf den so<br />

genannten Partyinseln, auch Privat-Inseln der Super-Reichen. Hier lagen bildhübsche Mädchen auf<br />

den Booten und harrten da aus in ihrer gemeinsam erlebten Langeweile. Überall an den Stränden<br />

des Rio de la Plata Heerscharen graziöser, leicht bekleideter Frauen - vorzeitige Insignien eines sich<br />

zaghaft andeutenden weltweiten Sex-Tourismus. Im sanften Bogen das weiße Sandufer der Playa<br />

Ramirez mit langen Wellen dünte der Rio de la Plata den Strand hinauf. Im Sand tanzten, sangen,<br />

tranken und knutschten lebenslustige Menschen scheinbar unbesorgt fortwährend in den langen<br />

Tag hinein - mit Geld natürlich. Ansichtskarten-Idylle. Verkitschte europäische Wehmut vielleicht.<br />

Atempause ganz gewiss.<br />

Nunmehr am Frühabend im Deutschen Klub gleiten meine Blicke hinaus aus der<br />

klimatisierten Abge- schiedenheit auf Buenos Aires. Die Stadt besteht aus Hunderten quadratischer<br />

Blöcke; schnörkellos, unnahbar. Überall Soldaten, Panzer, Gewehre, Reiterstaffeln, Hunde,<br />

Hundertschaften, Folterstätten irgendwo versteckt hinter angegrautem Gemäuer. Vor einem Jahr -<br />

1976 - hatten sich die Militärs an die Macht geputscht. Da war nichts von Romantik pur, da fiel<br />

auch keinem von uns die melancholische Melodie "Don't Cry for me Argentina" ein. Da dachte<br />

jeder von uns ganz leise, aber spürbar an sein Leben, ans Überleben. Angst hatten wir, richtige<br />

Furcht. Irgendwie war in solch einem unbe- rührten Augenblick Argentinien ein Ort, ein Schauplatz,<br />

an dem die authentisch miterlebte, verdichtete Vernichtung der Menschheit auf wenige<br />

Quadrat- kilometer ihre Fortsetzung fand.<br />

Perry Kretz, der Fotograf, sprach nicht von ungefähr in diesem Moment von seinen<br />

eingegerbten, schon irgend- wie traumatisch sitzenden Vietnam-Erlebnissen, My Ly, Da Nang und<br />

so fort. Mir schossen Bilder von ent- geisterten, blutrünstigen Armee-Patrouillen in Uganda durch<br />

den Kopf. Und Peter Koch (*1938+1988) wollte sogleich seinen alten Bekannten Klaus Oertel aus<br />

früheren Bonner Tagen kontaktieren, der es <strong>als</strong> Chef von Mercedes Benz in Argentinien "ganz<br />

schön nach oben gebracht hat"; folglich sehr einflussreich war. Einfach deshalb weil, Daimler und<br />

Co. <strong>als</strong> "verlässlicher Partner der Militär-Junta unter besonderem Schutz steht und damit auch sehr<br />

gute Geschäfte, Profite macht".<br />

Tagsüber hatte ich noch mit Klaus von Dohnanyi, seinerzeit SPD-Staatsminister im<br />

Auswärtigen Amt (1976-1981) in Bonn telefoniert. Wir benötigten seine Hilfe, um unser<br />

Recherchenmaterial - Tonbandaufnahmen, Filme, Dokumente - aus der Militärdiktatur Brasilien<br />

(1964-1985), wo wir vorher waren, mit der geschützten Diplomatenpost außer Landes zu<br />

bekommen. Bildungsbürger Klaus von Dohnanyi hat uns in Sachen Brasilien "noch einmal<br />

geholfen. Aber in Argentinien ist das ausgeschlossen. Das wäre genauso, wenn wir Terroristen wie<br />

Baader/Meinhof in Deutschland noch Lagepläne für ihre Bomben lieferten", sagte er und legte auf.<br />

Montoneros und Baader-Meinhof weltweit alles in einen Pott werfen? Geht das überhaupt? Na<br />

denn, Herr Staatsminister.<br />

Mir ging an diesem denkwürdigen Tag unzulässiger Verallgemeinerungen aus Bonn am<br />

Rhein der Name der deutschen Soziologiestudentin und Entwicklungshelferin Elisabeth Käsemann<br />

(*1947+1977) aus Tübingen nicht mehr aus dem Sinn. Aus der Redaktion in Hamburg kam die<br />

Nachricht: Autos ohne Kennzeichen hatten vor ihrer Wohnung in Buenos Aires gestoppt.<br />

Kreischende Bremsen. Türen wurden aufgerissen. Männer sprangen heraus. Sie drangen in ein<br />

Haus ein und fielen über sie her. Handschellen, Kapuze übern Kopf, Spray in die Augen. Elisabeth<br />

Käsemann wurde von Soldaten abge-führt, in eines der Auto gezerrt. Türen schlugen zu. Motoren<br />

heulten auf. Die Autos rasten davon. Die junge Frau, die Argentiniens Schergen abholen, wird in<br />

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