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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Behandlung nicht mehr länger für nötig. Grigorenko kam unter der Auflage frei, sich in<br />

regelmäßigen Abständen in der psychiatrischen Klinik in Leningrad zu melden.<br />

Grigorenko bewies bald, dass er alles anders <strong>als</strong> geisteskrank war. Unerschrocken wie eh<br />

und je engagierte er sich noch stärker und wurde einer der führenden Bürgerrechtler in der<br />

Sowjetunion. Am Grab des Schriftstellers Alexej Kosterin, der sich vor allem für die nationalen<br />

Minderheiten eingesetzt hatte, hielt Grigorenko eine leidenschaftliche Rede für die "wahre<br />

leninistische Demokratie und für die Entlarvung des Totalitarismus, der sich hinter der Maske der<br />

so genannten Sowjet-Demokratie verbirgt". Mit Flugblättern demonstrierte er gegen den<br />

Einmarsch der Sowjets in der CSSR. Als Grigorenko im Mai 1969 in Taschkent, wohin er von<br />

Moskau fuhr, vor Gericht für die unterdrückten Krimtataren starkmachen wollte, wurde er<br />

aberm<strong>als</strong> verhaftet.<br />

Der KGB beauftragte Professor Fjodor Detengow, den Chefpsychiater der Usbekischen<br />

Republik, ein Gutachten anzufertigen. Doch das fiel ganz anders aus, <strong>als</strong> es der Geheimdienst<br />

erwartet hatte: "Grigorenkos Handlungen basieren auf seinen persönlichen Überzeugungen und<br />

haben keine krankhaften und hysterischen Züge. Seine intellektuellen Fähigkeiten sind ausgeprägt,<br />

er hat sich in seiner Umgebung <strong>als</strong> Führer und Erzieher etabliert. Es gibt keinen Zweifel an<br />

Grigorenkos geistiger Normalität. Eine Behandlung in einer Klinik hätte schwerwiegende negative<br />

Folgen für den Patienten und würde seinen körperlichen Gesundheitszustand verschlechtern."<br />

Mit dieser positiven Diagnose wollte sich der KGB nicht abfinden. Wieder musste das<br />

"Serbksij"-Institut ran. Zwei Wochen nach der Taschkenter Begutachtung flog der KGB den U-<br />

Häftling nach Moskau zurück. Die Gutachter-Kommission unter Leitung von Morosow und des<br />

Chefs der politischen Abteilung vier, Lunz, enttäuschten ihre Abtraggeber nicht. Sie formulierte,<br />

was von ihr erwartet wurde: "Die Reformideen Grigorenkos haben einen widerspenstigen<br />

Charakter angenommen und beherrschen sein Denken vollständig. Eine paranoide Entwicklung<br />

seiner Persönlichkeit hat stattgefunden. Deshalb kann sich die Kommission der Empfehlung des<br />

Taschkenter Gutachtens nicht anschließen und rät dringend, den Patienten in eine psychiatrische<br />

Sonderklinik einzuweisen." -Zwischen dem Gutachten der Psychiater von Taschkent und dem der<br />

Psychiater des "Serbskij"-Instituts lagen nur vier Wochen.<br />

Natürlich setzte sich das "Serbskij"-Institut mit seinem Gutachten durch. Pjotr<br />

Grigorenko wurde im Februar 1970 in Taschkent von einem Gericht für unzurechnungsfähig<br />

erklärt und in die psychiatrische Sonderklinik Tschernjachowsk eingeliefert. Über drei Jahre blieb er<br />

dort. Grigorenko musste sich die Zelle mit einem Mörder teilen. In seinem Tagebuch schildert der<br />

die Methoden seiner Wärter: "Sie zwingen mir Essen auf, sie schlagen mich, sie würgen mich. Sie<br />

drehen mir den Arm um, prügeln absichtlich auf mein verletztes Bein ... Dann stecken sie mich in<br />

eine Zwangsjacke. Ich wehre mich, so lange die Kräfte reichen. Sehr oft breche ich unter<br />

furchtbaren Herzschmerzen zusammen. Die Wärter versprachen, mich nicht weiter zu quälen,<br />

wenn ich meine Reformideen widerriefe. Ich sagte ihnen: Überzeugungen sind nicht wie Handschuhe.<br />

Man kann sie nicht jeden Tag wechseln."<br />

Man braucht nicht im "Serbskij"-Institut gearbeitet zu haben, man braucht nicht einmal<br />

Psychiater zu sein, um zu ermessen, dass Grigorenko trotz aller Standhaftigkeit nach drei Jahren<br />

Sonderklinik ein gebrochener Mann war. Erst <strong>als</strong> der KGB glaubte, der Ex-General sei für die<br />

Sowjetunion keine Gefahr mehr, und <strong>als</strong> der internationale Druck für seine Freilassung immer<br />

stärker wurde, verlegte man Grigorenko in eine normale psychiatrische Klinik - nach Troizkoje.<br />

Dort durften ihn 1973 dann auch die ersten westlichen Psychiater, der Engländer Leigh und der<br />

Schwede Perres, besuchen. Grigorenko sagte ihnen, es ginge ihm jetzt besser. Die Ärzte konnten<br />

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