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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Marie Schlei gegenüber hatte ich natürlich Vorbehalte. Sie passte auf den ersten Blick<br />

genau in die von Männern entdeckte politische Marktlücke. Sie vereinte die ideal-typischen<br />

Eigenschaften einer Mutter. Immer warm- und offenherzig, wollte sie anderen helfen und<br />

Geborgenheit vermitteln. Das war in Bonn eine Seltenheit. Marie Schlei <strong>als</strong> Mutter der Politik und<br />

zugleich von den Männern in Amt und Würden gesetzt <strong>als</strong> Beispiel dafür, wie überflüssig die<br />

feministische Frauenbewegung sei. Objektiv betrachtet bildete Marie Schlei ungewollt die<br />

Speerspitze gegen den aufkommenden Feminismus, den sie in seiner Aussagekraft paralysieren<br />

sollte. Dafür schien sie den SPD-Männern mehr <strong>als</strong> geeignet zu sein. Denn jenen militanten<br />

weiblichen Typus, den Christa Randzio-Plath in ihrem bemerkenswerten Buch "Frauen-Macht"<br />

charakterisiert, wollten die Männer nicht in ihre angestammten Bereiche lassen. "Eine Frau, die<br />

Frauen sich wünschen, muss eine aus der Frauenbewegung sein und gegen Krieg und Abrüstung,<br />

Gewalt, Ausbeutung und Armut, Sexismus und Diskriminierung kämpfen. Sie aber wollen Männer<br />

nicht und lassen sie deshalb nicht an die Macht."<br />

Marie und ich hatten eine Gemeinsamkeit, wir beide hielten Ausschau: Marie nach<br />

Entscheidungsträgern, ich nach Informanten. Offen gesagt, mir war das burschikose Auftreten der<br />

Marie Schlei anfangs sehr unangenehm und ging mir ziemlich auf die Nerven. Ich musste immer an<br />

eine Marktfrau denken, die sich mit unerschütterlicher Fröhlichkeit in alles einmischt. Als ich Marie<br />

Schlei eines Tages im Kanzleramt traf, wo sie Schnaps mit Witz für eine Gruppe angereister<br />

Feuerwehrleute und später, im Kellnerinnen-Dress, auch noch für die hohen Herren der Politik<br />

servierte - da fiel bei mir die Schublade ins Schloss.<br />

Aber das Bild war schief, kannte ich doch eine Marie Schlei, die viel und heftig über die<br />

Männer in Bonn klagte und die Emanzipation der Frau auf die Tagesordnung setzte. Und ich fragte<br />

mich, wieso gerade so eine Frau nach Bonn geholt wurde. Da musste doch eine Absicht<br />

dahinterstecken. Diese Frau fiel doch nicht vom Himmel ins Kanzleramt. Man hatte sie hierher<br />

gestellt, weil sie ins Bild passte, das man von einer Hauptstadt geben wollte.<br />

Den Trümmerfrauen der ersten Stunde, die den Kriegsschutt der Männer weggeräumt<br />

hatten, folgten nun - nach Jahren in Heim und Herd - die Landes-Mütter. Frauen wie Marie Schlei<br />

hatten nach draußen die Intaktheit eines Milieus menschlicher Ignoranz glaubwürdig darzustellen.<br />

Der politische Gestaltungswille und der Drang nach Veränderung fristeten dam<strong>als</strong> in Bonn ein<br />

dürftiges Schattendasein. Wenn in späteren Jahren Begriffe wie Staatsverdrossenheit, der stille<br />

Rückzug ins Private zu den häufigsten benutzten Schlagwörtern des gesellschaftlichen Unbehagens<br />

wurden, dann auch deshalb, weil die von der politischen Männer-Kultur vorgetäuschte<br />

omnipotente Leistungsfähigkeit, der Machbarkeitswahn, in einem kläglichen Verhältnis zu den<br />

tatsächlichen Ergebnissen stand. Man nannte das Vertrauenskrise und begegnete ihr mit Krisenmanagement.<br />

Es waren die Jahre, in dem der SPD-Politiker Erhard Eppler (Bundesminister für<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit 1968-1974) ein viel beachtetes Buch schrieb: "Das Schwierigste ist<br />

Glaubwürdigkeit". Es war die Stunde der Marie Schlei. Sie zimmerte im guten Glauben mit an einer<br />

morschen Bühne, wo Vertrauen, Kompetenz, gar menschliche Integrität die Hauptrollen spielen<br />

sollten. Was ihre Politiker-Kollegen nicht mehr rüberbrachten - diese Glaubwürdigkeitsdefizite<br />

vermochte sie zeitweilig auszugleichen: Eben dafür war sie da, war sie ins Kanzleramt, später ins<br />

Entwicklungshilfeministerium geholt worden - Mütter-Jahre, Maries Jahre.<br />

Marie Schlei vereinte Eigenschaften einer weich-herzigen Mutter, die Verhärtungen,<br />

Rüpeleien, Machenschaften abzufedern vermochte. Schnell hatte man ihr im Bonn der<br />

"Zampanos" - wie sie die Männer in Anspielung an den Fellini-Film "La Strada" nannte - ein<br />

Etikett verpasst: Mal hieß sie "Mutter Marie", mal "Mutter Courage". Marie Schlei verstand die ihr<br />

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