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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Dabei hatte Karl Wilhelm Berkhan gar keine Debatte um Prozente entfachen wollen.<br />

Alkoholexzesse in den Reihen der Bundeswehr sah er vielmehr <strong>als</strong> ein Führungsproblem an. Dort,<br />

wo es drunter und drüber geht, "greifen die Vorgesetzten selbst zur Flasche". Berkhan runzelt die<br />

Stirn: "Ein geordnetes militärisches Gehirn wird einen Befehl nicht vom Barhocker geben, nicht<br />

einmal von einer Theke."<br />

Ein Kompaniechef im Majorsrang, so der Berkhan-Bericht, sah das anders. Am Abend<br />

vor einer Übung betrank er sich derart, dass er am nächsten Morgen seine Kompanie nicht führen<br />

konnte. Am selben Abend ließ er sich - trotz Alkoholverbot - wiederum volllaufen und weigerte<br />

sich, die Gaststätte zu verlassen. Die Kompanie wurde daraufhin von einem Hauptfeldwebel auf<br />

den Übungsplatz geführt. Als der Major am dritten Abend vom Schirrmeister aus der Kneipe<br />

geholt wurde, war er wiederum betrunken.<br />

Derselbe Major, alarmierte zwei Monate nach diesen Vorfällen gegen 0.45 Uhr die<br />

Kompanie, so dass ein Teil der Unteroffiziere - es war Spätherbst - bei Nebel und Reifglätte zur<br />

Unterkunft fahren musste. Als die Unteroffiziere im Kompaniegebäude auf die Befehle warteten,<br />

weigerte sich der Major das Offiziersheim zu verlassen. Er betrank sich bis morgens um 4 Uhr.<br />

Einem Zugführer, der sich höflich nach weiteren Befehlen erkundigte, bedeutete er zunächst<br />

"Mittagspause" und danach "Dienst in den Funktionen".<br />

Nicht selten führt solches Fehlverhalten von Offizieren zu privaten Zerwürfnissen, die<br />

Berkhan so beschrieb: "Vier Leute am Tisch, jeder zwölf Schnäpse. Ich, Unteroffizier, bin doch ein<br />

richtiger Kerl, ich muss auch mittrinken. Und hinterher, wenn sie nach Hause gehen, gerät er mit<br />

seinem Oberstleutnant aneinander. Dann sagt der Oberstleutnant noch in seinem Suff, ich erteile<br />

Ihnen einen Befehl. Da sagt der Unteroffizier, du kannst mir gar nichts befehlen, und haut ihm eine<br />

in die Schnauze. Und dann stehen sie vorm Richter. Es ist ein unerträglicher Zustand."<br />

Ein wichtiger Seismograf für die Bierfahnen in der deutschen Armee sind die<br />

Wochenendzüge zwischen Norddeutschland und Rhein/Ruhr. Genervt vom Wochen-Drill, vom<br />

gottverlassenen Nest in der Heide oder an der Ostsee, ohne sinn-volle Freizeitmöglichkeiten (der<br />

Bund gibt für die außerdienstliche Betreuung seiner Soldaten jährlich sieben Mark pro Mann aus),<br />

nur sich selbst oder der Kneipe überlassen, empfinden die Wehrpflichtigen jeden Freitag wie einen<br />

Befreiungstag, auch wenn sie die Hälfte des Wochenendes auf der Heimfahrt in der Eisenbahn<br />

verbringen.<br />

Mit zwei Paletten Dosenbier, das Stück zu 45 Pfenning, und dem Kassettenrekorder mit<br />

dem Amanda-Lear-Band in der Reisetasche geht's in den Zug; neuerdings in den schnelleren<br />

Intercity, seitdem das Prunkstück der Bundesbahn auch die zweite Wagenklasse führt. Meist sind<br />

die Waggons brechend voll, die "BWs", wie sie sich nennen, sitzen dann auf dem Gang, liegen in<br />

der Gepäckablage oder kabbeln sich mit dem Schaffner, warum sie nicht erster Klasse fahren<br />

dürfen. "Ich bin BW, du bist BW, dann die Tassen hoch."<br />

Anders dagegen sieht es auf der Rückfahrt am Sonntagabend aus. Da ist die<br />

Grundstimmung weitaus aggressiver. Da geht schon mal ein Speisewagen wie der des Intercity-<br />

Zuges "Kommodore" bei einer Massenschlägerei zu Bruch, da brennen Toiletten, da werden<br />

Scheiben zertrümmert da werden auch Fahrgäste am Aus-steigen gehindert - nach dem Motto "die<br />

nächste Station kommt bestimmt".<br />

"Wir, von der ersten Kompanie, wir sind besoffen wie noch nie", grölten etwa Rekruten<br />

im Speisewagen des Intercity-Zuges "Heinrich Heine", den sie gern in "Landser-Express" umtaufen<br />

würden. Zwischen Bremen und Hamburg steigen sie auf den Tisch, schreien "Bundeswehr<br />

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