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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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der westlichen Hemisphäre. Androgyn sind die Zeiten, die Geschlechter sind sich sehr viel<br />

ähnlicher geworden. Es sind Individuen, die Geschlechtermerkmale von Mann und Frau in sich<br />

verbinden wissen und diese Zweigeschlechtigkeit je nach Erfordernis ausleben. Sie konstatiert: "Mit<br />

diesem neuen Modell der Ähnlichkeit wird die traditionelle Bestimmung der Gattung in Frage<br />

gestellt.<br />

Unsere Identität, sogar unsere Natur sind Veränderungen unterworfen. Wir befinden uns<br />

in einer Phase der Mutation." Sie folgert: Ärzte laborieren an Mütter-Maschinen. Die Entwicklung<br />

eines Kindes liegt nicht mehr im Bauch der Frauen, sondern in der Hand von Wissenschaftlern.<br />

"Kinder können heute außerhalb des weiblichen Körpers gezeugt werden. Ich reagiere auf die<br />

Vorstellung, dass man einem Mann einen Embryo einpflanzt mit Panik - aber es wird kommen und<br />

zwar sehr bald." Männliche Paviane haben den Beweis längst erbracht, für die Wissenschaft<br />

erbringen müssen. Wenn aber Männer und Frauen zusehends ähnlicher werden, folgert Elisabeth<br />

Badinter, was geschieht dann mit der männlichen Identität in der Postmoderne?<br />

"XY - Die Identität des Mannes" heißt folgerichtig ihre nächste Publikation von 1992.<br />

Damit will sie den Beweis für die Umkehrung einer dominanten Kultur mit ihrem "schwachen<br />

Geschlecht" antreten. Es gelingt. Sie schreibt: "Als Modell ist das Patriarchat tot, es ist intellektuell,<br />

moralisch und sozial am Ende ... Seit Entstehung des Patriarchiats hat sich der Mann <strong>als</strong><br />

privilegiertes Menschenwesen definiert, stärker, mutiger, intelligenter, verantwortungsbewusster,<br />

schöpferischer oder rationaler <strong>als</strong> Frauen. " Nur verfüge die Medizin mittlerweile über hinreichende<br />

Erfahrungen, Ergebnisse und Statistiken, die bewiesen, dass Männer in Wirklichkeit das schwache<br />

Geschlecht darstellen. Die Sterblichkeit bei männlichen Säuglingen ist weitaus höher, Männer<br />

leiden unter mehr Krankheiten - physisch wie psychisch - und sie sterben auch früher <strong>als</strong> Frauen.<br />

Für Elisabeth Badinter zählt das Fehlen einer Identität zu den schmerzlich gelebten<br />

Erscheinungen dieser Zeit. Viele Männer wissen seit dem feministischen Umbruch nicht mehr so<br />

recht, wie sie eine Beziehung zu Frauen und welche sie aufbauen sollen. Angst vor Androgynität,<br />

vor der Ähnlichkeit der Geschlechter. Ängste vor Rollenverlusten - Verluste des Mannes, seiner<br />

überkommenen, unzeitgemäßen Männlichkeit. Angeknackst ist die männliche Herrschaft, die<br />

Frauen seit jeher symbolisch und tatsächlich zum Objekt machte. Von ihnen wurde und wird noch<br />

immer - ein kulturelles Gesellschaftsspiel -sexuelle <strong>Verfügbar</strong>keit diskret wie selbstverständlich<br />

eingefordert. "Aus männlicher Sicht", rekapitulierte Pierre Bourdieu (*1930 +2002), einst<br />

Soziologie-Professor am Collège de France, "wirken diejenigen Frauen, die das stillschweigende<br />

Verhältnis der <strong>Verfügbar</strong>keit unterbrechen und sich ihres eigenen Körperbildes in gewisser Weise<br />

wieder bemächtigen, 'unweiblich' oder wie Lesben." - Kulturverwerfungen - Identitätsbrüche.<br />

Erst leise und zaghaft, unbestimmt vielerorts und vage, dann immer deutlicher rückte ein<br />

Schauplatz der Geschlechter zwangsläufig in den Mittelpunkt - das Bett. Es ist nun einmal der<br />

Austragungsort der Verführung, Verfügung und Verweigerung, der sexuellen Leidenschaften mit<br />

ihren leichtgängigen Lippenbekenntnissen der Lust und des Lustverlustes. Dort, auf den weichen<br />

Federn der Matratze, findet die eigentliche Kulturrevolution dieser Tage statt - zuweilen ein wenig<br />

verschämt oder auch verdutzt; in ihren qualitativen Folgen zumindest nicht auszumachen - noch<br />

nicht.<br />

Für Elisabeth Badinter wird das traditionelle Rollenmuster aus Liebe und Leidenschaft<br />

bald passé sein. Vorbei deshalb, weil der Motor dieser scheinbar ungestillten Sehnsüchte abhanden<br />

gekommen ist. Die Gesellschaft kennt keine Tabus mehr, aber diese Verbote waren es gerade, die<br />

den Reiz der Übertretung aus- machten. Ende der Sexualität? Madame Badinter lacht<br />

kopfschüttelnd amüsiert und sagt: "Die Sexualität ist eine Sache für sich. Im Alltag ist die<br />

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