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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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SITTENGEMÄLDE: KALTER KRIEG DER MÄNNER - DAS<br />

POLITIKERINNEN-DASEIN DER MARIE-SCHLEI<br />

Die Pädagogin und Politikerin Marie Schlei wurde am 26. November 1919 in<br />

Reetz in Pommern <strong>als</strong> Kind einer Arbeiterfamilie geboren. Ihren Lebensunterhalt verdiente<br />

sie sich <strong>als</strong> Verkäuferin und Postangestellte. In Berlin nutzte sie 1947 die Chance, ohne<br />

Abitur Lehrerin zu werden, stieg im Arbeiterbezirk Wedding bis zur Schulrätin auf. Seit<br />

1969 agierte sie für die SPD im Bundestag, wurde im Jahr 1974 unter Helmut Schmidt<br />

parlamentarische Staatssekretärin im Kanzleramt, zwei Jahre später gar Ministerin für<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit. Dort bliesen Medien-Männer im Treibhaus zu Bonn zur<br />

Schlei-Treibjagd. Rücktritt. Nach der Bundestagswahl 1980 kehrte sie <strong>als</strong> Vize-Vorsitzende<br />

in die SPD-Fraktion zurück. Am 1. November 1981 erklärte die Berlinerin ihren Rücktritt,<br />

konnte keine Hoffnung mehr haben, den Krebs zu besiegen, der sie über all die Jahre in<br />

Bonn begleitet hatte. - Marie Schlei starb am 21. Mai 1983 in Berlin.<br />

"Frauen an der Macht" athenäums programm by anton hain, Frankfurt a/M 4. September 1990<br />

"Die Zukunft hat viele Namen Für die Schwachen ist sie die Unerreichbare Für<br />

die Furchtsamen ist sie die Unbekannte Für die Zapferen ist sie die Chance. Victor Hugo<br />

Wir lernten uns an der Theke kennen, im Bonner bürgerlich-rustikalen "Kessenicher<br />

Hof". - Marie Schlei, seit wenigen Monaten parlamentarische Staatssekretärin im Bundeskanzleramt<br />

und <strong>Reimar</strong> <strong>Oltmanns</strong>, Bonn-Korrespondent, jung und neugierig, immer auf der Suche nach der<br />

Nähe zur Macht und den Mächtigen. Kontakte zu pflegen gehörte zu meinem Job und befriedigte<br />

die Eitelkeit. Marie Schlei saß am Tresen und prostete mit rebellischem Lächeln ihren<br />

Parteigenossen zu.<br />

Ich mochte den "Kessenicher Hof", die SPD-Stammkneipe rechts gestrickten<br />

"Kanalarbeiter", der "Freunde für saubere Verhältnisse" (Egon Franke, *1913 +1995,<br />

Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen 1969-1982). Hier lief das Kontrastprogramm zum<br />

staatlich inszenierten Vorzeige-Bonn der Alleskönner und des bedeutungsvollen Gehabes, Bonpoly<br />

genannt, wo der seelische Ausnahmezustand <strong>als</strong> normal gilt. Die Bonner Alltagswirklichkeit sah<br />

ganz anders aus, war geprägt von einem Hauptstadt-Hospitalismus unter männlicher Regie.<br />

Ich konnte manchen Parlamentariern vom Gesicht ablesen, dass sie sich in steriler<br />

Abgeschiedenheit und Kälte der Parteiapparate nicht besonders wohlfühlten, wo Gefühle belächelt,<br />

Hoffnungen begraben, der Leidensdruck umgeleitet und Enttäuschungen standhaft genommen<br />

wurden: Klinisch-rein hatte das Seelenleben der Abgeordneten nach außen hin zu sein.<br />

Zum Glück gab des den "Kessenicher Hof" - Fluchtort nicht etwa für Aussteiger, sondern<br />

für den kurzfristigen angeschlagenen Biedersinn, der im Gewand des Bundestagsabgeordneten<br />

daherkam. Das Interieur des "Kessenicher Hof" hatte nichts Neureiches, war vom Haupt-Stadt-<br />

Flair verschont geblieben. Hier dominierte die verkitschte Stoffblumen-Atmosphäre von<br />

Bahnhofswartesälen aus den fünfziger Jahren, und es roch nach Bratkartoffeln. Hier konnte man<br />

sich wohlfühlen, war man irgendwie für kurze Zeit zu Hause, <strong>als</strong> Zwischenstation sozusagen.<br />

Klar, dass hier am Abend nach den Sitzungen die aufgestaute Spannung Ausgleich<br />

verlangte. Und - das war genau so wichtig - in dieser Gesellenrunde aus Politikern oder auch<br />

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