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Gefängnisfrauen in einem permanenten Aufbruch, Umbruch, Umschluss - tagein, tagaus. Folglich<br />

ist in Frankreichs Frauenhaft Fleury-Mérogis so gut wie nichts intim. Alles unterliegt der Umzug<br />

signalisierenden Guckloch-Öffentlichkeit. Angst heißt der unabänderlicher Wegbereiter und -<br />

Flurbegleiter in jenen entsagungsreichen Zeiten des Freiheitsentzugs.<br />

Dabei gehörte Frankreichs Frauengefängnis Fleury-Mérogis mit seinen dreitausend<br />

inhaftierten Frauen auf 2.400 Plätzen lange Zeit noch zu den halbwegs vorzeig-baren Haftanstalten<br />

des Landes. Ob kleine, aber gut gepflegte Zellen, ob Bibliotheken, Gesprächsräume oder auch die<br />

Krankenstation - vornehmlich in den siebziger Jahren ließ sich das Frauen-Gefängnis Fleury-<br />

Mérogis vorführen <strong>als</strong> Paradebeispiel eines auf Resozialisierung bedachten Frauenstrafvollzug. -<br />

Lang ist's her; ein Torso ist von allem geblieben. Heute heißt es: Kein Geld für einen<br />

gesellschaftsnahen Strafvollzug, kein Geld für eine leistungsgerechte Arbeitsentlohnung, auch keine<br />

finanziellen Mittel für Renten- und Krankenversicherung.<br />

Dafür drei oder manchmal sogar vier Frauen, die in einer acht Quadratmeter großen Zelle<br />

zusammenhausen. Ein Frauen-Knast voller Drogen samt ihren Kurieren. Sind doch exakt 80<br />

Prozent der Frauen rauschgiftsüchtig und gar 45 Prozent HIV-infiziert. Für viele Frauen ist der<br />

Gefängnisbau von Fleury-Mérogis Endstation - die letzte Bleibe vor dem Tod.<br />

"Uns reicht's", sagen sie da. "Wir essen nicht mehr, wir waschen uns nicht mehr, lasst uns<br />

in unseren Betten verrecken. Wir rühren uns nicht mehr von der Stelle, nehmen keinen Teller,<br />

keinen Becher mehr an." Verweigerung. Naheliegend, dass in diesem Vollzugsmilieu ein<br />

Kindheitsschock schon immer <strong>als</strong> neben-sächlich belächelt wurde, <strong>als</strong> unglaubwürdig, halt <strong>als</strong> nicht<br />

gerichtsverwertbar abgetan wird. Und das, obwohl sich etwa bei der Hälfte der Frauen in Fleury-<br />

Mérogis jenes traumatische Urerlebnis in ihren Gefühlsabläufen eingenistet hat - der sexuelle<br />

Missbrauch vieler Töchter durch ihre Väter, die sexuelle Nötigung der weiblichen Häftlinge durch<br />

so manche Wärter. Junge Mädchen von Fleury-Mérogis, zwischen 13 und 20 Jahren alt, wissen von<br />

jenen Männer-Übergriffen in jenen Grauzonen - sie alle schweigen. Gewohnheitsrecht.<br />

Glaubwürdigkeit ist gefragt. Einmal kriminell, immer unglaubwürdig, heißt es. Erst verge- waltigen<br />

Väter ihre Töchter, Erzieher in Heimen folgen. So betrachtet bewahren dann einige französische<br />

Vollzugsbeamten in ihren meist eigens dafür flüchtig hergerichteten Zellenseparé lediglich eine<br />

unscheinbare Kontinuität männlicher Alltagszugriffen dieser Jahre. Einmal Freiwild, immer<br />

Freiwild.<br />

Längst hat sich die französische Öffentlichkeit - von Berührungsängsten getragen<br />

augenzwinkernd darauf verständigt, einen explosiven Notstand notdürftig zu verwalten.<br />

Verantwortlich dafür sind insgesamt 18.000 schlecht bezahlte Vollzugsbeamte mit einem<br />

Durchschnittsgehalt von monatlich mehr oder weniger von tausend Euro. Die Folge in diesen<br />

Jahren: Im ausgegrenzten Fleury-Mérogis haben zwei Wärter bis zu fünfhundert Frauen beim<br />

Rundgang zu beaufsichtigen. Mit 1,4 Prozent des Staatshaushalts, weniger <strong>als</strong> 3,5 Milliarden Euro<br />

ist die Justiz ohnehin am unteren Ende der Politikerinteressen angesiedelt.<br />

Am Punkt 34,40 Meter im Sammelgrab des Friedhofs von Thiais wird an diesem Morgen<br />

die 24jährige Laurence verscharrt. Ein Mädchen, das wegen Diebstahl im Trakt D6 E, Zelle vier<br />

zum 25. Male eingesperrt worden war, diesmal drei Monate. Todesursache: Heroin. Gefunden<br />

wurde Laurence in einem der Stundenhotels; ganz in der Nähe der Haftanstalt. Bei ihr lag noch ein<br />

verschmierter Zettel. Auf ihm stand: "Ich lächele und gehe fröhlich. Die Menschen sollen Laurence<br />

in guter Erinnerung behalten. Nicht wie eine Kranke, die hässlich, mager, unschön aussah, sondern<br />

wie eine Frau, der man Blumen wenigstens ans Grab mitbringt. Adieu."<br />

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