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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Statt dessen macht Albert Huth etwas "völlig Abnormes" (Preußner-Uhde): Meistens<br />

meldet er sich krank und verzichtet damit auf sein monatliches "Gehalt" von 40 Mark. Dafür sitzt<br />

er dann tagsüber im kargen Schrankraum und schreibt auf einem Fensterbrett vor sich hin. "Auf<br />

Seite 146 ist er schon", lächelt der Pfarrer dezent. Doch sein "Geschreibsel ist nicht zeugnisfähig",<br />

versichert Pastor Schmidt. In der Tat ist Albert Huth ja entmündigt. Da zählt es wenig, dass der<br />

debile Huth Pastor und Personal in jene Vergangenheit zurückreißt, die viele schon verdrängt<br />

haben - die Ausrottung "unwerten Lebens" im Dritten Reich: Ein Thema, das in Alsterdorfer<br />

Gesprächen unter'm Personal tabu ist. "Die Zeit dafür ist einfach noch nicht reif", formuliert<br />

Pfarrer Schmidt. Die Alsterdorfer Tradition besagt: Wir haben geholfen, wo wir helfen konnten,<br />

wir haben Menschen gerettet, wo nur irgend jemand zu retten war. In zwei Schüben wurden aus<br />

den Alsterdorfer Anstalten zwischen 1941 und 1943 genau 570 Menschen im Rahmen der "T-4-<br />

Aktion" abtransportiert - nach Theresienstadt beispielsweise.<br />

Albert Huth war 14 Jahre alt, <strong>als</strong> er 1940 in die Alsterdorfer Anstalten kam. Körperlich<br />

ausgemergelt, "geistig zurückgeblieben", hatte der Junge schon Waisenhäuser und Kinderheime<br />

hinter sich gebracht. Für seine Mutter, erinnert sich Huth, war er drei Jahre lang ein lästiges<br />

Überbleibsel mit einem Juden namens Heimann. Für Stiefvater Huth galt er <strong>als</strong> Halbjude, den er<br />

nicht mit durchfüttern wollte. Die Behörden schickten Albert Huth 1940 in den "Wachsaal"<br />

Alsterdorf. Die Gründe seiner Einweisung finden sich nicht in seinen Alsterdorfer Akten - wo sie<br />

eigentlich sein müssten.<br />

Im Wachsaal konnte dam<strong>als</strong> geschehen, was auch wollte - nichts drang nach draußen.<br />

Schilldichte Mauern, vergitterte Fenster, Pfleger <strong>als</strong> Gefängniswärter. Vier Wochen blieb der<br />

Vierzehnjährige dort, "zur Eingewöhnung", wie es dam<strong>als</strong> hieß. Heiß- und Kalt-Wasser-Bäder<br />

wechselten einander ab. Cistyl- und Truxal-Drogen gab's zur Besänftigung und die Paral-Spritze -<br />

ein Pflanzenschutzmittel - <strong>als</strong> Strafmedizin, so Huth in seinem Lebensbericht. Das Tagebuch des<br />

Albert Huth zeigt in erschreckender Art und Weise nachempfindend, hautnah auf, welches Milieu<br />

innerhalb der Anstalt im Nation<strong>als</strong>ozialismus herrschte. Es dokumentiert minutiös, wie genau<br />

Pfleger wussten, wohin die Transporte gingen.<br />

Albert Huth schreibt: "Wenn ein Junge im Bett gepinkelt hatte, wo er nicht dafür konnte,<br />

der wurde mit dem Knüppel geschlagen und nicht gebadet. Die ganze Urinsäure fraß sich in den<br />

Körper ein und es war am Tisch sehr unangenehm, wenn andere Kameraden den Geruch einatmen<br />

mussten. Um Ekzeme herauf zu beschwören, bekam der Junge den eingenässten Spreusack um den<br />

Rücken gebunden und musste auf dem Hof herumlaufen, bis der Sack trocken war."<br />

Nach seiner Konfirmation kam Albert Huth zur Alsterdorfer Station "Heinrichshöhe".<br />

Hatte ein Junge eine Erkältung", berichtet er, "dann bekam er ein Abführmittel anstatt Hustensaft."<br />

Magenkrämpfe und Durchfall waren die Folgen. Und "bei einem Zeugappell hatte ein Pfleger einen<br />

Jungen dermaßen mit dem Knüppel auf die Fußsohlen geschlagen, dass er vor lauter Schmerzen<br />

nicht mehr gehen konnte."<br />

Albert Huth schreibt: "Otto A. war ein großer NS und hatte für die Kirche nichts über.<br />

Was Otto A. getrieben hat, war immer nur Hohn und Spott. Zu meinem Erstaunen kam ich nicht<br />

mehr in die Schule und blieb immer mehr im Rückstand. Otto A. hatte mit einem Knüppel, den er<br />

"Onkel Lehmann" nannte, auf die Kinder geschlagen, die ein Blasenleiden hatten. Auch da hatte<br />

man die Jugendlichen nicht gebadet. Freizeit hatte man dort sehr wenig. Am meisten mussten wir<br />

Jugendlichen auf dem Hof marschieren. Wenn zum Beispiel still gestanden ertönte und ein<br />

Epileptiker einen Anfall bekam, dann ließ er ihn fallen, ohne Hilfe zu leisten. Am Abend mussten<br />

die Jugendlichen auf dem Flur antreten. Dann wurde das Lied "Oh Jesu, meine Freude" gesungen.<br />

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