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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Palisaden zu bauen. Es wäre zum Schmunzeln, wenn es nicht so traurig wäre." - Deutsche<br />

Vergangenheits-Bewältigung.<br />

Immer dann, wenn Heinrich Hannover durch geschickte Fragen den baltischen Baron<br />

schwer zu belasten drohte, konnte sich der frühere niedersächsische Vertriebenenfunktionär, der er<br />

auch einmal war, "an nichts mehr erinnern". Er schwieg und überließ seinen Anwälten das<br />

prozessuale Terrain. Laut wurden die Anwälte, sehr laut - <strong>als</strong> wollten sie durch ihre penetrante<br />

Brüllerei geschehenes Unrecht vergessen machen.<br />

Den geschickten Fragen der Verteidigung lagen mehr <strong>als</strong> 300 Dokumente zugrunde, die<br />

Arthur Sahm während eines einwöchigen Warschaubesuchs in Archiven fand. Dass Otto Freiherr<br />

von Fircks Leiter des Sozialarbeitsstabs in Gnesen war, zudem im Mai 1940 von Heinrich Himmler<br />

ehrenhalber zum SS-Obersturmführer ernannt wurde, das gab von Fircks notgedrungenerweise zu.<br />

An die "Merkpunkte" für jene Arbeitsstäbe, mit dem Stempel "geheim" versehen, konnte er sich<br />

freilich nicht mehr erinnern. Aus ihnen ging zweifelsfrei hervor, dass Aus- und Ansiedlung von<br />

Polen und Deutschen nahezu nahtlos ineinander übergingen, wie es auch der Staatsanwalt in<br />

seinem Plädoyer hervorhob. So heißt es unter anderem in dem sechs Seiten umfassenden<br />

Dokument: "Erst wenn die evakuierte polnische Familie außer Sicht ist, erfolgt die Einweisung der<br />

Ansiedler." Oder: "Nur der beste polnische Besitz ist zu erfassen."<br />

CDU-Bundestagsabgeordneter von Fircks hingegen behauptet mit einer beinahe immer<br />

wiederkehrenden Stereotypie, Aus- und Ansiedlung von Polen, Wolhynien- und Galiziendeutschen<br />

haben miteinander absolut nichts zu tun gehabt. Was sich allerdings in jenen düsteren Tagen<br />

deutsche Geschichte offenbar abspielte, schilderte Sahms Kronzeuge, der Polendeutsche Eberhard<br />

Jagemann. Er war zu dieser Zeit dem Arbeitsstab <strong>als</strong> Dolmetscher zugeordnet: In den frühen<br />

Morgenstunden wurden die Dörfer umstellt, an den Ausgängen Maschinengewehre postiert. Die<br />

Polen mussten in aller Kürze ihre Höfe verlassen und wurden zum Abtransport gebracht. Während<br />

die Aktion reibungslos ablief, blieb ein Teil des Polizeikommandos im Dorf, um aus den Häusern<br />

die Kruzifixe und Heiligenbilder zu entfernen. Sie wurden dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt.<br />

Wenige Stunden später erreichten die Trecks mit Balkandeutschen die Dörfer.<br />

Zwar bestätigte Eberhard Jagemann ausdrücklich, von Fircks bei derartigen<br />

Aussiedlungsaktionen nie beobachtet zu haben. Doch er fügte sogleich hinzu: "Es kann ihm aber<br />

nicht verborgen geblieben sein." Selbst der von dem Freiherrn benannte Zeuge, namens Paulich,<br />

sagte aus, dass der Arbeitsstab Aus- und Ansiedlung zu verantworten hatte. - Und Leiter dieses<br />

Arbeitsstabs war nun einmal der baltische Baron Freiherr Otto von Fircks.<br />

Die Aussagen Eberhard Jagemanns mussten von Fircks mehr <strong>als</strong> unangenehm sein; denn<br />

der Kronzeuge bestätigte dem Gericht auch, dass von Fircks während einer Dienstbesprechung zu<br />

Unnachsichtigkeiten und Härte gegenüber den Polen aufgefordert habe und sie immer wieder mit<br />

Wanzen verglichen habe.<br />

Nebenkläger von Fircks, mittlerweile in der Rolle des Verteidigers, trachtete immer<br />

eindringlicher danach, den Kronzeugen Jagemann <strong>als</strong> einen "unglaubwürdigen und zwielichtigen<br />

Kommunisten" vorzuführen. Der Kalte Krieg dieser Jahre. Der Freiherr unterstellte ihm, Jagemann<br />

sei schon deshalb "unglaubwürdig", weil er nach dem Kriege "stilles Mitglied der KPD" gewesen<br />

sei. Er veranstalte hier eine "Hexenjagd" gegen unbescholtene CDU-Politiker der Bundesrepublik.<br />

Als noch junger Prozess-Beobachter für die Frankfurter Rundschau zum Landgericht<br />

gereist, fragte ich mich bei diesem Hass erfüllten Verhandlungsablauf, wer hier eigentlich zu<br />

Gericht saß - ein SS-Scherge oder durch Nazis verfolgte Kommunisten. Verquere Zeiten, in denen<br />

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