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ein einstiger SS-Obersturmführer - mit der Immunität eines Bundestagsabgeordneten ausgestattet -,<br />

unversehens zu einem Verfolgten stilisiert. So sagten zwei weitere KPD-Funktionäre, die von<br />

Eberhard Jagemanns stille KPD-Mitgliedschaft hätten wissen müssen, unter Eid aus, dass es eine<br />

so genannte stille Mitgliedschaft überhaupt nicht gegeben habe.<br />

Der Staatsanwalt indes zog die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Eberhard Jagemanns<br />

nicht in Zweifel. Er sprach von "drei Säulen" (Dokumente, Aussage-Jagemann und die nahtlose<br />

Aus- und Ansiedlung), die beweiskräftig genug wären, um den Vorwurf glaubwürdig zu machen,<br />

von Fircks habe sich an nazistischen Untaten beteiligt. Heinrich Hannover bemühte in seinem<br />

Plädoyer ein Stück der Zeitgeschichte: " Niemand hätte sich um die Vergangenheit des Freiherrn<br />

von Fircks gekümmert, wenn er sich in eine stille Ecke zurückgezogen hätte, doch dieser Herr von<br />

Fircks ist Bundestagsabgeordneter der CDU, der durch die Ostpolitik Willy Brandts (1966-1974)<br />

ganz Europa geschädigt sieht."<br />

Dass dam<strong>als</strong> bitteres Unrecht an den Polen im Namen der Deutschen geschehen ist,<br />

vermag Otto von Fircks nicht einzusehen. Wenn er überhaupt etwas vor den Richtern von sich<br />

gibt, dann wehrt er sich mit Vehemenz dagegen, die Vertreibung polnischer Bauern <strong>als</strong> "Untat" zu<br />

bezeichnen. Schließlich habe er ja auch keine Tötung begangen, der Freiherr. Zwei Tage warteten<br />

Prozess-Beobachter auf Worte des CDU-Politikers, die da etwa lauten würden: heute weiß ich, dass<br />

dam<strong>als</strong> Unrecht geschehen ist. Heute bedaure ich das zutiefst. Fehlanzeige. Keine Reue, kein<br />

Bedauern. Zur Urteilskündung war von Fircks erst gar nicht mehr erschienen.<br />

Im Gegenteil: Das Landgericht Hildesheim unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor<br />

Günter Weber, 45, verurteilte Artur Sahm zu einer Geldstrafe von 2.000 Mark und zur<br />

Veröffentlichung des Urteils in mehreren überregionalen Zeitungen. Richter Weber befand, Sahm<br />

sei in seinem Flugblatt "weit über das Ziel hinausgeschossen". Obwohl er einen Teil der gegen von<br />

Fircks erhobenen Vorwürfe habe beweisen können, müsse das Flugblatt im Gesamtzusammenhang<br />

gesehen werden. In diesem so zitierten, so genannten "Gesamtzusammenhang" sei auch von<br />

Gräueltaten die Rede, die von Fircks nicht beweiskräftig zu unterstellen seien.<br />

Indes: Für den Lehrer Artur Sahm und seinen Rechtsanwalt Heinrich Hannover geht der<br />

Rechtsstreit weiter. Sahm hat sich jetzt vor einer Disziplinarkammer zu verantworten.<br />

Anklagepunkt ist aberm<strong>als</strong> sein Flugblatt. Er habe sich, in dem er polnische Dokumente der<br />

Zeitgeschichte zitierte, nicht der beamtengemäßen Zurückhaltung bei politischen Äußerungen<br />

auferlegt, lautet der Vorwurf, den das niedersächsische Kultusministerium gegen ihn erhob. Aus<br />

dem Fall von Fircks ist längst unversehen Fall Sahm geworden. Eine rund 100 Seiten umfassende<br />

Dokumentation eines Disziplinarverfahrens, das mittlerweile vier Jahre alt ist, sprach bereits eine<br />

neue Sprache in dem Land der Dichter und Denker - die Sprache des exakt in diesem Jahr - 1972 -<br />

erstm<strong>als</strong> in Hannover ausgeübten Berufsverbots. - Aus Tätern werden Opfer, aus Verfolgern<br />

werden Verfolgte. "Wir wollen mehr Demokratie wagen" - das sagte Willy Brandt (1969-1974) <strong>als</strong><br />

Bundeskanzler in jener Epoche des Aufbruchs. - Deutsche Zeit-Geschichte.<br />

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