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Kindesmisshandlungen werden unter der Rubrik "Gefährliche Körperverletzung" oder<br />

"Körperverletzung mit tödlichem Ausgang" verbucht. Somit gelingt es immer wieder, die<br />

eigentliche Dramatik oder auch den Sprengsatz kindlicher Opfer zu vernebeln. Untaten an Kindern<br />

werden nämlich nicht nur nach den Bestimmungen des §223b des Strafgesetzbuches geahndet,<br />

sondern sie können sich rechtlich zugleich <strong>als</strong> schwere Körperverletzung (§ 224 StGB) mit<br />

tödlichem Ausgang (§ 226 StGB) sowie auch <strong>als</strong> Totschlag (§ 212 StGB) darstellen. Gleichwohl<br />

kommt es bei derlei Interpretationsspielräumen in erster Linie auf das "Problembewusstsein und<br />

die Erkenntnisfähigkeit der Richter an, ob sie eine rohe Misshandlung" konzedierten oder auch<br />

nicht", relativiert der Jurist Wilhelm Stille vom Deutschen Kinderschutzbund (gegründet 1953) den<br />

Paragrafen-Schutz-Schirm. Stille: "Vielen Juristen ist ihre Weltfremdheit ins Gesicht geschrieben.<br />

Wie sollen sie da den Dunst familiärer Zerbrechlichkeiten und ihre Auswüchse an sich<br />

herankommen lassen? Ein Unding"<br />

Im Rückblick wurden in der Bundesrepublik zwischen 1950 bis 1960 exakt 2.175 Täter<br />

wegen Kindesmisshandlung abgeurteilt; mit Geldstrafen, Gefängnis und Zuchthaus. Sicherlich<br />

wären zu einer größeren Anzahl von Gerichtsurteilen gekommen, wenn Ärzte nicht der<br />

Schweigepflicht unterlägen. Es war der damalige Justizminister Gustav Heinemann (*1899+1976;<br />

Bundesminister der Justiz 1966-1969), der die deutschen Mediziner zu mehr Courage aufforderte,<br />

indem er wiederholt auf die gültige Rechtslage verwies. Gustav Heinemann am 17. März 1967 vor<br />

dem Deutschen Bundestag: "Ein Arzt darf trotz seiner ärztlichen Schweigepflicht die Polizei oder<br />

die Jugendämter über die ihm bekannt gewordenen Kindesmisshandlungen informieren."<br />

In jedem Fall sind die öffentlich ermittelten Daten sehr ungenau. Sie sind kein<br />

zuverlässiger Gradmesser für die Verrohung des Umgangs der Familien in diesem Land.<br />

Quantitative Größenordnungen sagen allzu oft wenig über die qualitative Tragweite aus - nämlich<br />

einer familiären Erosion, deren Folgewirkungen noch nicht abzuschätzen sind. Kinder-Anwalt<br />

Wilhelm Stille notierte im Mitteilungsblatt des Deutschen Kinderschutzbundes: "Aus unserem<br />

Bewusstsein ist der Kinder-Klaps, der nicht schaden kann, nicht rauszukriegen. Wenn man aber<br />

erkennen muss, dass in einer Reihe von Ereignissen durch ein frühes Eingreifen manches Unheil<br />

hätte verhindert werden können, so darf man auch an dem Problem der ärztlichen Schweigepflicht<br />

nicht vorbeigehen. ... ...".<br />

"Es ist bekannt, dass Eltern und Erziehungsberechtigte versuchen, bei Verletzungen<br />

durch Misshandlungen die Ärzte zu täuschen, zu belügen. Es werden die raffiniertesten Mittel<br />

benutzt. Schwere Verletzungen werden <strong>als</strong> Sturz von der Treppe, vom Stuhl oder Fallen auf den<br />

Fußboden, Verbrennungen und auch Erfrierungen werden mit unglücklichem Zufall,<br />

entschuldbarem Irrtum oder eigenem Verschulden des Kindes erklärt. Es sind Fälle bekannt<br />

geworden, in denen Kinder während einiger Monate mehrfach mit Spuren von Misshandlung<br />

jeweils in eine andere Klinik eingewiesen wurden, ohne dass man der Sache auf den Grund<br />

gekommen war."<br />

Originalton einer Frau, einer Wissenschaftlerin dazu aus den siebziger Jahren.<br />

Zeitgeschichte oder Aktualität ? Lang ist es her, Jahrzehnte um Jahrzehnte - geändert hat sich<br />

wenig, konstatiert Elisabeth Trube-Becker: "Wahllos wird von grausamen Eltern mit allen nur<br />

erreichbaren Gegenständen auf das Kind eingeschlagen, mit Riemen, Peitschen, Stöcken,<br />

Kohlenschaufeln, Kochlöffeln, Feuerhaken etc. Unerschöpflich ist die Fantasie beim Ersinnen von<br />

Grausamkeiten, um dem gequältem Kind Schmerzen zuzufügen: stundenlanges Stehenlassen, Aufund<br />

Abmarschieren während der Nacht, auf den heißen Ofen setzen, Überbrühen mit heißem<br />

Wasser, stundenlanges Haltenlassen von schweren Gegenständen, Halten von brennenden<br />

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