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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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AUS DEUTSCHEN LANDEN DER ZEITGESCHICHTE (1) -<br />

WENN DDR-BÜRGER SCHWIMMEN GEHEN ... ...<br />

Anfang der siebziger Jahre war auch die DDR im Zeichen der<br />

Massenmotorisierung zu einem Land des Massentourismus geworden. An der<br />

sozialistischen Ostsee, den beliebtesten Urlaubsorten der DDR, lief selbst die Erholung<br />

nach Plan. Die Gewerkschaft bestimmte, wer, wann, wo und wie Ferien machen konnte.<br />

Nahezu drei Viertel aller Erholungsplätze wurden durch den Staat und seinen Betrieben<br />

vergeben. Die Ostsee-Woche (1958-1975) war ein jährlich veranstaltetes internationales<br />

Festival. Urlaubs-Szenarien aus einer verschollenen Ära.<br />

stern, Hamburg 24. Juli 1975<br />

Am Badestrand von Warnemünde scheppern aus Transistor-Lautsprecher Erfolgsschlager<br />

der fünfziger Jahre. Für die Ostsee-Urlauber sendet Radio Rostock ein leichtes Sommerprogramm.<br />

Lale Andersen (*1905+1972) prophezeit dem größten Überseehafen der DDR immer noch: "Ein<br />

Schiff wird kommen." In der Kurmuschel auf der Strandpromenade von Ahlbeck an der<br />

polnischen Grenze erntet der Geiger - mit Toupet, Fliege und schwarzem Anzug - Applaus für<br />

Evergreens längst verschütteter Jahre ("Ich hab' das Fräulein Helen, baden seh'n, das war schön").<br />

Im Küstenstädtchen Boltenhagen - 40 Kilometer östlich von Lübeck - ist die<br />

Eisverkäufer-Brigade schon am frühen Nachmittag arbeitslos. In wenigen Stunden waren 700 Kilo<br />

Tagesration ausverkauft. Aus dem Radio die Melodie: "Das ist der Umba, Umba, Schokoladen-<br />

Eisverkäufer."<br />

In der Aula der Universität Rostock stellt sich die SED-Führung den "bohrenden Fragen"<br />

der internationalen Presse; allen voran der mit obligat knalligem Blauhemd ausgestattete<br />

Gener<strong>als</strong>ekretär des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend, FDJ-Chef Egon Krenz (1967--<br />

1974). Seine Neuigkeit ist so alt wie die Ostsee-Woche, 22 Jahre. "Die Ostsee muss ein Meer des<br />

Friedens sein", verhallt es da lapidar. Auf dem Uni-Campus hat sich derweil eine kleine Mädchen-<br />

Traube ausgewiesener FDJlerinnen gebildet. Heiter ist die Stimmung, erwartungsvoll das Erleben.<br />

Eine Genossin stimmt plötzlich den Ohrwurm an, der da die Gemüter schwingen lässt. "Eeeeegon,<br />

ich hab ja nur aus Liebe zu dir, ja nur aus lauter Liebe zu dir, ein Glas zu viel getrunken, ach Egon,<br />

Egon, Egon." (Komponist Friedel Hensch, 1952). Stund' um Stund' wird nach dem berühmten<br />

Egon geträllert - bis endlich, ja endlich der einstige FDJ-Sekretär der Rostocker Bezirksleitung in<br />

ganz jungen Jahren (1960) zu einem Tänzchen ("aber, Genossin nur unseren Foxtrott, nichts vom<br />

Beat") auf dem staubigen Sandboden überredet wird. Ihre Antwort: "Yes Sir, I can Boogie". Krenz<br />

-Heimspiel. Swinging DDR anno '75.<br />

Für die DDR-Bevölkerung ist das Meer des Friedens mit seinem 470 Kilometer langen<br />

Küstenstreifen vor allem ein begehrter Badestrand, der einzige in der Republik, an dem sich die<br />

meisten tummeln möchten. Spätestens seit den siebziger Jahren ist auch der zweite deutsche Staat<br />

zu einem Land des Massentourismus geworden. So schieben sich täglich die Autoschlangen mit<br />

Wartburgs und graumäusigen Trabanten (Volksmund: Trabbis) auf den Fernstraße nach Norden.<br />

Vor Tankstellen bilden sich über 100 Meter lange Pkw-Schlangen, Restaurants sind überfüllt.<br />

"Massentourismus" lautet jener allseits faszinierende Begriff dieser Jahre. Ein Stückchen Freiheit,<br />

ein bisschen Beweglichkeit, wobei Reisen allerdings fast nur im Bereich der "sozialistischen<br />

Bruderstaaten" möglich sind; aber immerhin, wenigstens das.<br />

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