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FRISCHE LUFT FÜR DIE GESELLSCHAFT<br />

Als Kunststudentin an der Pariser École du Louvre lebte die Konservatorin Marie-<br />

Françoise Poiret schon im 19. Jahrhundert - in den Museen und Grands Palais. Ob nun in<br />

der Provinz in Bourg-en-Bresse am Musée de Brou oder dann wieder im Musée d'Orsay,<br />

der Louvre, das Musée national d'art moderne oder auch das Centre Pompidou - eine<br />

zentrale Frage durchdrang jedwede Epochen. Wie viel Architektur braucht die Macht, um<br />

sich zu profilieren. Wie viel Macht braucht die Architektur, um von sich reden zu machen?<br />

- Männer-Grandeur. Frauen-Befunde.<br />

Frankfurter Rundschau vom 19. August 1995<br />

Als junge Kunststudentin an der École du Louvre lebte Marie-Françoise Poiret schon ein<br />

bisschen wie im 19. Jahrhundert; genauer gesagt im Paris der Museen und Grands Palais, die in<br />

ihrer Monumentalarchitektur allenfalls drei Fixsterne vergangener Jahrhunderte dulden: Kunst,<br />

Kultur und natürlich Paris <strong>als</strong> "wahrlich kulturelle Hauptstadt der Welt" - <strong>als</strong> markanter Brennspiegel<br />

einer vom französischen Kunstverständnis geprägten Epoche.<br />

Es waren erst die siebziger Jahre dieses Jahrhunderts, in denen Frankreichs Frauen<br />

erstm<strong>als</strong> ihre Selbstfindung in Sachen Kunst wie auch Architektur suchten. Jene Ära des Aufbruchs<br />

schuf ein offenes, diskussionsfreudiges Klima. Erstm<strong>als</strong> wurde der gesellschaftliche Zustand der<br />

Republik transparent anhand der Kunst reflektiert - ein latente Antifeminismus der Kulturnation<br />

wurde dabei ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Es waren auch die Jahre der Fotografin<br />

Annette Messager, die nachfolgende Frauen-Generationen beeinflussen sollten. In ihrer Pariser<br />

Ausstellung des Jahres 1977, "Die Porträts der Geliebten", geißelte sie mit ironisch-bissigem<br />

Blickwinkel das von der Werbeindustrie vorfabrizierte Image der Feminität. In ihren späteren<br />

Exponaten rückte Annette Messager das eigene Verlangen, ihre Gefühle in den Mittelpunkt. Oder<br />

auch die Malerin Anne Marie Jugnet. Mit ihren Botschaften wehrt sie sich gegen das "Gefühl des<br />

Blindwerdens" durch unentwegte Reizüberflutung samt austauschbarer Bilder-Bombardements in<br />

Massenmedien.<br />

Zumindest aus diesem noch zaghaft keimenden gesellschaftlichen Klima eines<br />

künstlerischen Frauen-Empfindens heraus entwickelte Marie-Françoise Poiret ihr Berufsziel: Sie<br />

wollte Konservatorin werden. Nur Französinnen , die waren in über zweitausend Museen der<br />

Republik nicht vorgesehen. Dementsprechend tauchte der französische Frauenanteil an den<br />

Kulturgütern der Nation in früheren Jahrzehnten auch in keiner Statistik auf.<br />

Frankreich im Sommer '95 - ein Bild macht Furore und gibt zugleich den Blick frei auf die<br />

scheinbar konservierte kulturelle Gemütslage der Republik. Im Pariser Musée d'Orsay hängt<br />

neuerdings auch Gustave Cour- bets kleines Bild "L'Origine du monde" (Ursprung der Welt). Es<br />

zeigt, wie der Pariser "Nouvel Observateur" schrieb, "ein seidenglattes Geschlecht mit einsamer<br />

Begierde" - einen Frauenkörper ohne Gesicht. Dafür einen liegenden Torso mit geöffneten Beinen.<br />

Im Jahre 1866 hatte es Gustave Courbet gemalt. Seither war es weitgehend der Öffentlichkeit<br />

entzogen. Kaum jemand ahnte, dass die "gesichtslose Vagina" seit 1955 der französische<br />

Psychoanalytiker Jacques Lacan in seinem Landhaus versteckte. Er starb und seine Erben<br />

spendeten es dem Staat, um so der Erbschaftssteuer zu entgehen.<br />

Die französische Kunst hatte ihr Thema - ihr sommerliches Frauenthema. Gewiss wird<br />

dabei vordergründig über Grenzüberschreitungen, dumpfe Zurschaustellung, gar<br />

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