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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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verankerte Unrechtsbewusstsein trübt, gleichzeitig aber noch von den hohen Postulaten<br />

unantastbarer Freiheits- und Lebensrechte ausgeht - Paradoxien dieser Zeit.<br />

Aber nicht die Gewalt, nicht die paramilitärischen Konfrontationen, mit dem<br />

Polizeiapparat sind erklärte Sponti-Ziele. Vielmehr treffen Happning artige Proteste, künstlerische<br />

Clownerie und private Muße <strong>als</strong> Selbstfindung sein eigentliches Lebensgefühl. Doch nur wenige<br />

wussten um den schmalen Pfad, auf dem sie sich bewegten. Denn wann und wo lassen sich<br />

eindeutig die Grenzlinien ziehen, etwa zwischen kleinfamiliären Verhaltensweisen und tatsächlich<br />

neuen Formen des Miteinanders, wo endet die unterdrückende Gruppennorm, wo beginnt die<br />

befreiende Solidarität, wann hat jemand eine Neurose, wann sagt man, ja, endlich, das ist die neue<br />

Identität, wann ist die zu leistende Arbeit nicht entfremdet, sondern selbstbestimmt, inwieweit<br />

muss man sich noch kapitalistischen Marktzwängen unterordnen?<br />

Die Grenzen sind oft fließend. Lehrlinge, Schüler und Studenten, Arbeitslose, Freaks und<br />

freiwillige Aussteiger zogen Ende der siebziger Jahre den aus der Ferne endlos erscheinenden<br />

Fluchtweg entlang, den andere, meist aus der Achtundsechziger-Generation bereits vorausgegangen<br />

waren: ob nach Nepal, Poona oder zur Landkommune in Niederbayern bleibt dabei einerlei. Doch<br />

nun ist ein Umkehrtrend erkennbar. Vorsichtig ertasten sie sich die Rückkehr ins städtische Getto.<br />

"Ach", stöhnt Uwe Döhn nach leidvollen Wanderjahren stellvertretend für die Frankfurter Szene,<br />

"hätte diese Erde doch einen Notausgang! Doch wohin ich auch schau, sehe ich doch nichts <strong>als</strong><br />

Ausweglosigkeit. Nichts geht mehr, die letzte Kugel rollt im Todesroulette der Zivilisation."<br />

Frankfurt galt ihnen früher nur noch <strong>als</strong> ein "Hundeklo", neuerdings ist von "Heimat" und<br />

"Lebensraum" die Rede.<br />

"Wer nicht kämpft geht unter, wer kämpft reibt sich auf " - dieses Sponti-Grunddilemma<br />

hat sich in all den Jahren nicht auflösen lassen. Gleichwohl ist der stille Rückzug aus der<br />

Wirklichkeit einer erneuten Abrechnung mit ihr gewichen. Darin mag einer der Gründe liegen,<br />

warum die Konfrontation zwischen dem Staat mit seiner strukturellen Gewalt und der Verweigerer-<br />

Kultur mit ihren ungesetzlichen Widerstand an Härte zunimmt, in den achtziger Jahren sogar<br />

brenzlig eskalieren wird.<br />

Was der neuen Jugendbewegung ihre übergreifende Dimension gibt ist die Tatsache, dass<br />

die Aussteiger-Philosophie weit ins Lager der so genannten politischen Mitte reicht. Ausstieg aus<br />

der Kernenergie, Ausstieg aus dem Konsum, Ausstieg aus der Wegwerf-Gesellschaft. Gerade das<br />

Rhein-Main-Ballungszentrum mit seiner kaputten Metropole Frankfurt hat die Schwelle von<br />

Wachstum und Vernichtung längst überschritten. Trotzdem jagen Staat und Wirtschaft<br />

atemberaubende Modernisierungsprozesse im beginnenden Zeitalter der Globalisierung<br />

hemmungsloser durch denn je. Sie zerstören natürliches Leben, um künstliches Leben zu schaffen,<br />

von dem keiner eine Vorahnung hat, wie es einmal tatsächlich aussehen dürfte.<br />

Schnellstraßen, Hochhäuser, Abgase, Smogalarm, Trinkwasser, das teilweise ungenießbar<br />

ist, Flüsse, die zu Kloaken vergammeln. In den vergangene 30 Jahren wurden bereits 3.700 Hektar<br />

Wald, das entspricht rund 6.000 Fußballplätzen, für Wachstum und Wohlstand abgeholzt. Über<br />

drei Millionen Bäume sollen 1981 für die neue Startbahn des Flughafens gekappt werden - und im<br />

Jahre 2009 für eine weitere Land- und Startpiste wieder und wieder werden intakte Grünreservate<br />

dem Erdboden gleich gemacht. Massiver Widerstand war und ist bereits angesagt: "Wir sind keine<br />

Hippies oder Landstreicher, sondern Menschen, die trotz Androhung von Knast und Prügel dem<br />

Staat trotzen", so steht's auf der Gemeinschafts-Pinnwand. Rund um die Uhr kreist ein<br />

Wachdienst, mit Handys ausgestattet, ums Besetzer-Dorf.<br />

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