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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Lebensidealen zu nähern. Doch der Trip durch Kalifornien - das war schon ein bisschen das Ende<br />

eines Traums, einer abgehobenen Vision. Manches, was zunächst nach Befreiung aussah, erwies<br />

sich <strong>als</strong> ausgemachte Konfusion von tief verunsicherten Menschen, die die Zivilisation hingerichtet<br />

hat.<br />

Aber nun standen Erich, Irene, Hilde und Volker den ersten Tag im Spätsommer 1975<br />

vor ihrem Traum, dem Fohrenbachhof im Niederbayerischen. Nur - da war nichts mehr von der<br />

kalifornischen Sonne und dem Easy-Rider-Gefühl übriggeblieben, kein pittoresker Blickwinkel,<br />

kein kontemplatives Moment. Denn es regnete unentwegt, der Lehmboden war glitschig<br />

aufgeweicht und die neue Landkommune watete im städtischen Gang über den Matsch-Hof. Junge<br />

Leute, die in ihrem Leben noch keine Mistgabel in der Hand gehalten hatten, die keine Schwielen<br />

kennen, lediglich ihren Schreibknubbel am rechten Mittelfinger, die standen nun da, an diesem<br />

nasskühlen Sommertag, und schauten ziemlich verzagt drein. Keine Wasserleitung funktionierte,<br />

von der Kanalisation ganz zu schweigen, Stromleitungen, die rausgerissen an nassen Wänden<br />

baumelten, in den Räumen roch es nach feuchtem Schimmel, wurmstichige Holzbohlen hier und<br />

dort , kurzum: alles wirkte trist und tot.<br />

Vor allem bei Irene schlug der unbehagliche Neubeginn schnell auf die Psyche durch.<br />

Gut, sie alle wussten schon recht lange, was und wie viel noch gemacht werden musste - aber das<br />

waren doch bisher mehr oder weniger theoretische Überlegungen gewesen. Als Irene noch in der<br />

Stadt wohnte und des Öfteren an den Fohrenbachhof dachte, da waren es die Butzenscheiben, der<br />

Birnbaum und ihr Töpferhandwerk, das sie recht bald erlernen wollte. Und je mehr sie sich über<br />

Kollegen, Eltern und Schüler ärgerte, desto schnuckeliger erschienen ihr die Butzenscheiben, desto<br />

üppiger sollte die Birnbaum-Ernte ausfallen.<br />

Irene spürte ihre Beklemmungen, ihre Verwirrungen. Sie fragte sich, ob die Idee mit der<br />

Natur nicht ein Hirngespinst gewesen sei. Die sogenannte Natur hatte sie nur durch die<br />

Sonntagsnachmittagsspaziergänge mit ihren Eltern kennengelernt, ein Promenadenlauf, den sie<br />

immer hasste, weil er sich so kleinbürgerlich artig und damit borniert ausnahm. Später hockte sie<br />

meist in verqualmten Buden und Bier verstunkenen Kneipen - das war die Studentenzeit. Man<br />

redete über Sein oder Nichtsein, über den französischen Existenzialismus und über die neue Linke;<br />

keine Naturfrische, sondern stumpfe Blässe, tief liegende Augenringe und die Nickelbrille waren<br />

und natürlich auch Gauloises und Roth Händle, die wie ein selbstverständliches Ritual auf dem<br />

Tisch lagen.<br />

Dann kam die Phase mit den Fedajinen-Tüchern, das wachgeküsste Bewusstsein für die<br />

Probleme der Dritten Welt. In ihrem Bekanntenkreis hatten die meisten solch ein Fedajinen-Tuch.<br />

Und wenn es abends mal kurz zum Griechen, Türken oder Libanesen essen gingen, da hatten sie<br />

alle ihre Tücher umgelegt. Sie begrüßten den Wirt und sein Personal ganz emphatisch, einfach<br />

stellvertretend für die Freiheitskämpfer im Nahen Osten oder auch nur <strong>als</strong> Sympathiebeweis für die<br />

südlichen Regionen. Irene jedenfalls empfand solche Abende besonders schön und schick.<br />

Aber hier, auf dem Fohrenbachhof, konnte sie nicht mehr schnell um die Ecke zum<br />

Libanesen. Da saß sie in der Küche und schaute auf diese ewig grüne Wiese. "Wenn sie doch mal<br />

eine andere Farbe hätte", dachte sie sich. Aber immer dieses gleichbleibende Grün. Sie überlegte,<br />

ob ihr Ausbruch aufs Land nicht doch nur eine Flucht sei, der Fohrenbachhof eine seelische<br />

Mülldeponie für Schutt und Schlacke, den sie aus der Stadt mitgebracht hatte. Oder ob die Natur<br />

nicht einfach ein Projektionsventil für verschwiegene Wünsche und Hoffnungen ist, die man sich<br />

in der Stadt untereinander nicht eingesteht, weil es zu sentimental klingt, wo doch selbst der<br />

Umzug auf einen heruntergekommenen Hof noch eine sozialistische Perspektive hat. Und die<br />

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