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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Und gewiss hatte sie unterschwellig auch Angst vor dem Sprung ins Polit-Milieu. Wie<br />

lassen sich eindeutig Grenzen ziehen zwischen Absichten und tatsächlich neuen Formen des<br />

Streites? Wann hat jemand eine Profilneurose und wann sagt man, ja endlich, das ist die neue<br />

politische Identität? Ich hatte so meine Zweifel, Widersprüche und meine Schubläden. Die zog ich<br />

auf, noch ehe Antje Vollmer ihre Rede beendet hatte, "diese Art von Geschäft in der Politik könne<br />

auf Dauer niemand betreiben, ohne Schaden an Leib und Seele zu nehmen", hatte ich mein Bild<br />

über diese Frau abgerundet - vorschnell, wie sich bald herausstellen sollte.<br />

Ich dachte mir: Wieder eine Person, die mit pastoralem Sendungsbewusstsein die<br />

Gesellschaft beglücken wollte. Jetzt setzt sie unverdrossen wie gebeutelt ihren Anspruch fort.<br />

Typisch Frau - sie dürfte kläglich hier an den politischen Schauplätzen der Krisenmanager. Doch<br />

Antje Vollmer versagte nicht. Ganz im Gegenteil.<br />

Die Frauen-Aufbruchs-Ära, die in der Kinderladen-Bewegung der siebziger Jahre ihren<br />

Ausgangspunkt nahm, hatte längst die Männer-Trutzburg Bonn erreicht. Sie ist gleichsam eine<br />

Antwort auf Vertrauensverluste und Visionenlosigkeit. Antje Vollmer steht für Tausende von<br />

Frauen in diesem Land, die die Aufbruchs-Ära eingeleitet haben.<br />

Im Laufe der Jahre habe ich lernen müssen, dass sich hinter ihrer Unscheinbarkeit eine<br />

unvermutete Portion Härte und Durchsetzungsvermögen verbirgt. Sie brachte den<br />

"gesellschaftlichen Dialog" mit einsitzenden RAF-Terroristen in Gang. Bundespräsident Richard<br />

von Weizsäcker (1984-1994) gab einigen Gnadengesuchen lebenslänglich Verurteilter statt. Wobei<br />

sie Moral und Recht, Legitimität und Legalität, Politik und Gewissen auf die ihr eigene unbeugsame<br />

Art und Weise vereinte. Als die Grüne Partei sich in Fraktionskämpfen selbst zu eliminieren<br />

drohte, war sie es, die mit der Gruppe "Grüner Aufbruch '88" zu vermitteln suchte. Antje Vollmers<br />

Überlegungen brachen die Definitionsgewalt der Männer in der intellektuell chronisch untersorgten<br />

Hauptstadt.<br />

Als ich Antje Vollmer zum letzten Mal in ihrem Haus in Kirchdornberg bei Bielefeld<br />

besuchte, da hatten sie die Jahre in Bonn deutlich gezeichnet. Müde war sie des ewigen Gezerres in<br />

Bonn auf den Parteitagen. Und immer die Angst, die Politik könne sie endgültig davontragen, ihr<br />

den Rest an privater Sphäre nehmen, sie für die Apparate zurecht schleifen. "Nein", sagte sie, "ich<br />

will nicht mehr. Andere Frauen müssen für mich weitermachen. Man muss auch Abschied nehmen<br />

können. - Und ich kann ja vielleicht irgendwann einmal wiederkommen."<br />

Das Bundestagsmandat im Schutze der Immunität, der Diplomaten-Status - all jene<br />

Privilegien sind für Antje Vollmer im Gegensatz zu den meisten Männern in Bonn keine Frage von<br />

Sein oder Nichtsein. "Denn jeder ist ersetzbar - erst recht, wenn die parlamentarische Routine die<br />

Menschen dort zu ersticken droht. Für mich erwarte ich Ruhe in einem großen Abstand zu allem."<br />

Auf der Rückfahrt von Bielefeld fiel mir eine Passage aus Heinrich Bölls (*1917+1985)<br />

"Frauen vor Flusslandschaften " ein. Da heißt es:"Wubler: Du hast gelernt, dass Politik ein<br />

schmutziges Geschäft ist.Erika: was nicht bedeutet, dass Schmutz schon Politik ist."<br />

Als Antje Vollmer im Jahre 1983 - für sie eigentlich unerwartet - mit den Grünen in den<br />

Deutschen Bundestag einzog, fühlte sie sich eher <strong>als</strong> eine stille Beobachterin ihrer Fraktion. Sie war<br />

nicht einmal ordentliches Mitglied dieser ökologischen Partei, die von den Bonner Polit-Profis mit<br />

einem müden Lächeln - dank ihres unkonventionellen Parteiprogramms und nicht-hoffähigen<br />

Auftretens - weniger begrüßt <strong>als</strong> beargwöhnt wurde. Für die dam<strong>als</strong> vierzigjährige Antje Vollmer<br />

ging alles rasend schnell: Keine sechs Wochen lagen zwischen dem ersten Gedanken an eine<br />

Kandidatur und ihrer Wahl zur Bundestagsabgeordneten.<br />

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