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AUFRUHR IN POLEN - GENOSSEN GEGEN GIEREK:<br />

PREISE, WARENKNAPPHEIT, FREIHEIT,<br />

MEINUNGSFREIHEIT<br />

Polen kommt nicht zur Ruhe. Erosionen - Momente etwa eines Bürgerkriegs in<br />

dem zwischen Ost und West zerriebenen Land. Rasante Preissteigerungen,<br />

Warenknappheit, geplünderte Sparbücher, jäher Absturz des Lebensstandards. Mittendrin<br />

blockt eine moskauhörige Beton-Fraktion noch so zaghafte Reformpolitik des polnischen<br />

KP-Chefs Edward Gierek (1970-1980; *1913+2001) ab. Er scheiterte mit der Modernisierung<br />

der Wirtschaft, konnte die horrende Auslands-Verschuldung nicht annähernd tilgen. Der<br />

Arbeiter Edward Gierek wurde nach Gründung der Solidarnosc-Gewerkschaft (1980)<br />

gestürzt und nach Verhängung des Kriegsrechts durch General Wojciech Jaruzelski im<br />

Jahre 1981 – noch im selben Jahr Ministerpräsident - kurzzeitig inhaftiert.<br />

stern, Hamburg 4. Dezember 1975<br />

Der Machtkampf in der polnischen Parteispitze wurde von Flammenzeichen begleitet.<br />

Am 21. September 1975 brannte die Warschauer Wislostrada (Weichselautostraße) lichterloh. Die<br />

Asphaltstraße war mit flüssigem Napalm überschüttet. Wenig später schlugen Flammen aus den<br />

Fenstern des Warenhauses "Cedet" in der Warschauer Innenstadt. Das beliebte Einkaufszentrum<br />

brannte völlig aus. Im Königsschloss glomm das Gebälk. In Wroclaw, früher Breslau, loderten<br />

mehrere Brandherde in der größten Kirche der Stadt.<br />

Zwei Wochen vor dem VII. Parteitag der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, der am 8.<br />

Dezember 1975 in Warschau beginnt, drohen die bislang unbekannten Brandstifter sogar: Wenn<br />

jetzt die Preise erhöht werden, dann wird bald die ganze Hauptstadt brennen. Preise und<br />

Warenknappheit beunruhigen viele Polen. Vor den Sparkassen stehen Schlangen. Ein Warschauer<br />

Bank-Angestellter: "Jahrelang haben uns die Leute ihr Geld gebracht. Jetzt heben sie auf einmal<br />

alles von den Konten ab." - Und kaufbesessen drängen die nervös gewordenen Menschen sich in<br />

die teuersten Textilläden der Nowy-Swiat-Straße. Sowjetische Pelzmäntel, die zwischen 12.000 und<br />

20.000 Zloty kosten (durchschnittliches Monatseinkommen: 3.200 Zloty), werden bar bezahlt.<br />

Trotz der bisher erfolgreichen Wirtschaftspolitik des Parteichefs Edward Gierek - Polen<br />

verdrängte die DDR vom zweiten Platz der Industrienationen in der Ostblock-Gemeinschaft<br />

COMECON (gegründet 1949 <strong>als</strong> Gegengewicht zum Marschall-Plan des Westens); außerdem geht<br />

es den meisten Polen heute besser denn je - steht die größte Krise in der 30jährigen<br />

Nachkriegsgeschichte Polens bevor. Trotzdem muss Gierek im nächsten Jahr stufenweise die<br />

Preise heraufsetzen, um wenigstens halbwegs den Staatshaushalt vor dem Bankrott zu bewahren.<br />

• Lebensmittel (Preise seit 1970 nicht erhöht) zwischen 40 und 50 Prozent;<br />

• Textilien bis zu 40 Prozent;<br />

• Elektrogeräte 35 Prozent;<br />

• Baumaterial 20 bis 30 Prozent;<br />

• Bahntarife bis zu 40 Prozent.<br />

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