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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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(1971-1981) reduzierte sich Privatleben ebenfalls auf null. Er hatte sich in der Wiesbadener<br />

Elektronik-Zentrale nach jahrelanger Terroristenjagd systematisch zugemauert, von der Außenwelt<br />

hermetisch abgeschottet. Mit seiner Frau redete der ranghöchste Polizist der Republik nicht mehr,<br />

ließ sich schließlich scheiden. DISPOL-, PISA-, LISA, PIOS und der INPOL-Fahndungscomputer<br />

waren längst zu seinem alleinigen Bezugspunkt geworden, ein Gegenüber, über das er x-beliebig<br />

verfügen, mit dem er sich reibungslos verständigen konnte.<br />

Meistens tief in der Nacht, wenn sich Dr. Geißler von der aufreibenden Tagesroutine<br />

entfernt weiß, arbeitet er "für unsere gemeinsame Zukunft, für eine Gesellschaft mit<br />

menschlicherem Gesicht". Er braucht nicht viel Schlaf, er hasst ihn eigentlich. Will er doch seine<br />

kostbare Zeit effektiv nutzen, um Visionäres der Wirklichkeit ein Stückchen näher zu bringen. Für<br />

seine Politikaufrisse benötigt er keine Menschen, er verachtet sie insgeheim. Er liebt die abstrakte<br />

Planung. Die Gesellschaft mit empirischen Instrumentarien in Segmente zu zerlegen, weitsichtig<br />

Entscheidungsbedarf von morgen und übermorgen vorzubereiten, das fasziniert ihn ungemein -<br />

etwa beim Krankenhausbau.<br />

Schon seit 1977 macht Heiner Geißler aus Koffern Politik. Sich in Bonn für die<br />

angepeilten Jahrzehnte ein bisschen einzurichten, sich womöglich lebensfroh einzugestehen, dass<br />

diese Stadt keineswegs nur aus verqualmten Buden, Aktenböcken und flanellgarnierten<br />

Prestigefiguren besteht - solch naheliegende Gedanken rührten sich in ihm bisher nicht. Bonn sei<br />

nolens volens eine vertrackte Raumkapsel, in der viel schwadroniert werde, die geschwätzige<br />

Verlogenheit sich von der einen in die andere Alltagspathologie transferiere. Nein, beschied<br />

Geißler, dies sei nun wirklich nicht seine Umgebung. Er wolle ja schließlich das neue Deutschland<br />

bauen, zukunftsweisende Perspektiven entwerfen. Deshalb könne ihn auch niemands zu den<br />

Cocktail-Empfängen locken, wo Gewichtiges und Nettes sich augenzwinkernd in seltener Noblesse<br />

mit ihren ewigen Déjà-vu-Erlebnissen therapieren.<br />

Seine Welt, sein Milieu ist ein Betonkasten aus zehn Etagen -das Konrad-Adenauer-Haus.<br />

Dort - managt er mit monotoner Beharrlichkeit ein Vierecks-Verhältnis, seinen Lebensinhalt:<br />

Politik und nochm<strong>als</strong> Politik, Taktik und nochm<strong>als</strong> Taktik, Strategie und nochm<strong>als</strong> Strategie, Macht<br />

und nochm<strong>als</strong> Macht.<br />

Überall surrt es auf Geißlers Etage zu Bonn.. Überall arbeiten die kleinen Reißwölfe vor<br />

sich hin. Im Kopierraum neben der Kaffeeküche, in den Sekretariaten unter den Schreibtischen.<br />

Immer, wenn vertrauliche Informationen übers Telefon den Leitungsstab erreichen, werden sie<br />

aufgeschrieben und unverzüglich den jeweiligen Adressaten ausgehändigt. Die speichern dann ihre<br />

exklusive Neuigkeit im Kopf, und der Reißwolf zerhackt das Papier. Spione vielleicht, Misstrauen<br />

überall.<br />

Gleich neben seinem Schlafverlies stapeln sich über 160 vollgepfropfte Presseordner, die<br />

mir mir quasi cool nebenbei zeigt. Sie füllen seine Aktenschränke. Selbst für den CDU-<br />

Gener<strong>als</strong>ekretär eine bemerkenswerte Anzahl. Von einem durchschnittlichen Parlamentarier erst<br />

gar nicht zu sprechen, der in vier Jahren im Bundeshausarchiv etwa eine halbe Leitzmappe<br />

zusammen-bringt. - Unausgesprochen und dennoch ausnahmslos machen sich am Gedruckten<br />

Leistungskriterien fest. - Geißler Gipfel.<br />

Pressedokumentationen entpuppen sich Knall auf Fall <strong>als</strong> untrügerische Bonn-<br />

Seismografen. Sie zeigen Zugehörigkeit oder Außenseitertum an. Die Teilhabe an der Macht<br />

spiegelt sich in der Quantität angehäufter Zeitungsstapel und Agenturmeldungen wider.<br />

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