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gründlichst zu erlernen" (Studiendirektor Alois Eder). Grund für den Bäcker-Boom: Die Meister<br />

besetzen ihre Gesellenjobs mit billigeren Lehrlingen.<br />

Von den 22 Stiften wollten 16 ursprünglich gar keinen Teig kneten. Weil nur das<br />

Bäckerhandwerk ihnen eine Lehrstelle bieten konnte, änderten sie plötzlich ihren Entschluss.<br />

Huber: "Wir bekommen immer mehr Bäcker. Bald wissen wir gar nicht mehr wohin damit." -<br />

Bäckerboom auf bayerisch. Und Recht hat der Bäckermeister. Schon heute arbeiten im<br />

Bundesdurchschnitt 65 von 100 Bäckern nicht mehr in ihrem erlernten Beruf. Der viel zitierte<br />

goldene Boden des Handwerks ist arg morsch geworden. Denn auch bei den Mauern muss jeder<br />

dritte, bei den Metzgern, Schustern, Dekorateuren und Schneidern sogar jeder zweite in die<br />

Industrie abwandern.<br />

Die Handwerksbetriebe bilden mehre <strong>als</strong> doppelt so viele Lehrlinge aus, <strong>als</strong> sie später<br />

beschäftigen können. Großbetriebe mit mehr <strong>als</strong> 500 Beschäftigten, Betriebe <strong>als</strong>o, die die besten<br />

Voraussetzungen für eine gründliche und vielseitige berufliche Qualifikation bieten, stellen nur ein<br />

knappes Fünftel aller Ausbildungsplätze.<br />

Die Krise der beruflichen Bildung zwingt nicht nur Facharbeiter, am Fließband zu jobben,<br />

sie kostet den Steuerzahler auch eine ganze Stange Geld: Umschulung heißt das Zauberwort der<br />

Stunde, der Jahre. 1969, <strong>als</strong> das Arbeitsförderungsgesetz in Kraft trat, drückten 60.000<br />

Arbeitnehmer erneut die Schulbank, 1974 waren es bereits 300.000 (Kosten: 1,5 Milliarden Mark),<br />

und 1980 werden es voraussichtlich 800.000 Umschüler sein, die vorher den f<strong>als</strong>chen Beruf erlernt<br />

haben oder auch durch wirtschaftliche Strukturveränderungen in einer Sackgasse gelandet sind.<br />

Dass neben Klein- und Mittelbetrieben auch der Staat die berufliche Bildung sträflich<br />

vernachlässigt, zeigt sich daran, dass er für einen Hauptschüler 22.000 Mark, für einen Re<strong>als</strong>chüler<br />

27.000 Mark, für einen Gymnasiasten 44.000 Mark und für einen Berufsschüler nur 5.000 Mark<br />

ausgibt. Diese Benachteiligung sieht auch der Bundeskanzler. Helmut Schmidt (1974-1982): "Guckt<br />

man sich nur einmal an, in was für Schulgebäude bei uns Gymnasiasten und Berufsschüler<br />

untergebracht sind, dann kann man erkennen, wie über Generationen hinweg die berufliche<br />

Ausbildung vernachlässigt worden ist." Und der Bildungsforscher Wolfgang Lempert vom Berliner<br />

Max-Planck-Institut: "Die Berufsschule ist ein Feigenblatt, mit dem die pädagogische<br />

Benachteiligung der meisten Lehrlinge nur notdürftig verdeckt wird."<br />

Erdrückend ist vor allem der Lehrermangel. 15.000 Planstellen sind unbesetzt, 27 Prozent<br />

des Unterrichts fallen im Bundesdurchschnitt aus. Dazu Erich Frister (*1927+2005),<br />

Bundersvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (1968-1981): "Die Lage der<br />

Kollegen in der Berufsschule ist verzweifelt. Sie ähnelt der eines Arztes, dem für die Behandlung<br />

von Schizophrenie nur kalte Umschläge zur Verfügung stehen." - Die Situation ähnelt vor allem<br />

der von 1906. Dam<strong>als</strong> wies der Stundenplan der Gewerblichen Berufsschule Neuss schon sechs<br />

Wochenstunden aus, wobei - im Gegensatz zu heute - das Fach Religion nicht mitgerechnet wurde.<br />

70 Jahre später erhalten nach einer repräsentativen Untersuchung der Hamburger Hochschule für<br />

Wirtschaft und Politik (befragt wurden Schüler an allen Hamburger Berufsschulen) 14 Prozent der<br />

Schüler noch immer nicht mehr <strong>als</strong> sechs Unterrichtsstunden pro Woche.<br />

Verschärft wird die deutsche Ausbildungsmisere durch einen undurchschaubaren<br />

Kompetenz-Wirrwar, verursacht durch einseitige Politiker-Interessen, den Machthunger der<br />

Wirtschaftsverbände und der Kulturhoheit der Bundesländer. Bis heute wollen die Bonner<br />

Fachminister allein die "Ausbildungsordnung" für die Lehrlinge im Betrieb festlegen. Das eigentlich<br />

zuständige Wissenschaftsministerium wird nur am Rande geteiligt. Innenminister Werner Maihofer<br />

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