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SUFF BEIM BUND – DIE BIERFAHNEN DER ARMEE<br />

Sonntagabend ist in manchen Schnellzügen der Teufel los. In Rudeln kehren<br />

junge Soldaten nach dem Wochenende in ihre Standorte zurück. Sie lassen sich in Abteilen<br />

und Gängen mit Bier volllaufen. Im Speisewagen des "Intercity 618" von Stuttgart nach<br />

Hamburg bot sich am 20. Mai dieses fatale, dem Zugpersonal jedoch gewohnte Bild.<br />

Randalierende Rekruten grölen: "Wir scheißen auf die Bundeswehr." Auch im Dienst<br />

macht sich, obwohl verboten, der Suff in den Streitkräften gefährlich breit. Die Pest dieser<br />

Jahrzehnte heißt "Alkoholismus", von dem 4,3 Millionen Menschen befallen - erkrankt<br />

sind. In den Kasernen der Armee tobt eine verschärfte "Flaschen-Schlacht".<br />

ZEITmagazin, Hamburg vom 27. Juli 1979<br />

Der Tag ist wie jeder andere im schleswig-holsteinischen Lütjenburg, aber er endet <strong>als</strong> ein<br />

schwarzer Freitag. Schon am frühen Nachmittag wirkt das Garnisonsstädtchen nahe der Ostsee wie<br />

ausgestorben; abends sind die beiden Diskotheken "68" und "Why not" wie leer gefegt. Zu<br />

Wochenendbeginn hält es keinen der über tausend Soldaten freiwillig in der abseits gelegenen<br />

Kleinstadt. Sie alle hasten, ob per PKW oder per Bahn nach Hause - meist ins über vierhundert<br />

Kilometer entfernte Ruhrgebiet. Ein gewöhnlicher Wochenend-Exodus, im Bundeswehr-Jargon<br />

kurz "Nato-Rallye" genannt.<br />

Nur für das 8. Bataillon des Flugabwehrregiments 6 aus der Lütjenburger Schill-Kaserne<br />

ist Ausgangssperre verhängt worden. Feindbeobachtung und Nachtalarm stehen auf dem<br />

Programm. Das jedenfalls sagte Oberfeldwebel Soboll am Freitagmorgen um 8.30 Uhr in der<br />

Kaserne an. Keine zwölf Stunden später sagt er auf dem Übungsgelände Hohensasel den<br />

Nachtalarm wieder ab, Lagerfeuer müssen gelöscht, Zelte eilig zusammengepackt werden, die etwa<br />

dreißig Soldaten sollen sich im Galopp marschfertig machen. Für die 18- bis 20jährigen, die gerade<br />

erst vier Wochen beim Bund dienen, ist Unvorstellbares geschehen. Manche heulen laut vor sich<br />

hin, andere schreien fassungslos: "Das kann doch nicht wahr sein."<br />

Auf dem Boden liegt reglos Wilfried Klauber aus Oberhausen. Sein Kopf ist knallrot<br />

unterlaufen, Todesangst steht in seinen Augen; niedergestreckt durch eine 9-Millimeter-Partone aus<br />

dem Lauf einer P-38-Pistole. - Der ärgste Feind der westdeutschen Armee hat an diesem Freitag<br />

das 8. Bataillon des Lütjenburger Flugab-wehrregiments 6 außer Gefecht gesetzt: der Alkohol, dem<br />

inzwischen 92 Prozent aller Gewalttätigkeiten bei der Bundeswehr zuzuschreiben sind.<br />

Mit dem Suff hatte es schon in den frühen Morgenstunden begonnen. Statt Tee oder<br />

Kaffee füllten sich manche Rekruten ihre Feldflaschen mit Whisky oder Gin. Auf dem<br />

Übungsgelände in Hohensasel machten dann die Alkoholika <strong>als</strong> "stille Post" die Runde. Aber auch<br />

die Unteroffiziere nippten heimlich mit. Rekrut Hermann Steinert: "Das war zwischen uns eine<br />

unausgesprochene Abmachung. Entweder wir heben unseren Vorgesetzten etwas ab, oder die<br />

erstatten Meldung."<br />

Gegen 18 Uhr tauchten die ersten Biere und eine Kornflasche auf. Ein Vorrat, den sich<br />

Unteroffiziere und ihr Oberfeldwebel vorsorglich mitgebracht hatten. Kaum waren die Flaschen<br />

geleert, wurde unter den Soldaten die "obligate Suffkollekte" veranstaltet. Drei Mann marschierten<br />

los, um aus dem Gasthof "Gut Rantzau" für Nachschub zu sorgen.<br />

Locker und feucht-fröhlich hockten Hermann Steinert und seine Kameraden vorm<br />

Lagerfeuer sangen: "Wir lagen vor Madagaskar und hatten unser Bier an Bord;" und empfanden die<br />

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