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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Wenn ich nur an meine Cousine denke, dann sehe ich, wir haben uns schon ein Stück in<br />

diese Richtung bewegt. Mit 47 Jahren war es ihr endlich möglich, sich fortzubilden. Sie hatte die<br />

Schule nicht besuchen dürfen und war Verkäuferin geworden. Ihr Leben war ziemlich mühselig.<br />

Mithilfe des Arbeitsförderungsgesetzes konnte sie sich kostenlos zur Sekretärin ausbilden lassen.<br />

Das war schon von Kindesbeinen an ihr Wunsch gewesen. Heute ist sie Sekretärin im<br />

Lehrerseminar. Wenn ich diesen Fortschritt anderen zu verdeutlichen versuche, wird leider allzu oft<br />

nur auf die kurze Zeit der Geldzuwendung hingewiesen - mehr nicht. Nach dem Motto, was nichts<br />

kostet, ist nichts wert.<br />

Ich persönlich habe mich nie auf Positionen beworben. Das klingt vielleicht etwas<br />

überheblich. Ich wurde aufgefordert, mich für die Rektorenstelle zu melden und später mich <strong>als</strong><br />

Schulrätin zu bewerben. Und ich wurde aufgefordert, für den Bundestag zu kandidieren. Die SPD-<br />

Spitze bat mich, Helmut Schmidts parlamentarische Staatssekretärin und schließlich<br />

Entwicklungshilfeministerin zu werden. Die Sucht nach Ämtern, koste es, was es wolle, hat mich<br />

nie getrieben. So etwas liegt mir völlig fern. Dieses Hecheln nach Bedeutung und Macht war in<br />

meiner Zeit ganz den Männern vorbehalten.<br />

Als Beispiel für die ortsübliche männliche Karriere-Kultur muss ich mir nur den einstigen<br />

Juso-"Rebell" Wolfgang Roth (Vorsitzender der Jungsozialisten 1972-1974) vor Augen führen. Er<br />

meldete sich nach seinen schlagzeilenträchtigen Juso-Eskapaden für den Parteivorstand, für den<br />

Bundestag sowieso und dann marschierte er Schnurstraks nach oben auf den stell-vertretenden<br />

Fraktionsvorsitz zu. Durch sein feingesponnendes Selbstanmeldungsnetz fiel dann eine Frau: Ich<br />

hatte mir die hellwache Renate Lepsius <strong>als</strong> meine Nachfolgerin gewünscht. Aber in Sachen<br />

Selbstanmeldung sind in Bonn die Frauen den Männern weit unterlegen. Für die ist das oft ein<br />

egomanisches Muss.<br />

Sie planen für sich ihre Karrierestufen, wann und unter welchen Bedingungen sie dies<br />

oder jenes erreichen können - und vor allem, mit welchen Entscheidungsträgern sie sich gut zu<br />

stellen haben. Bei uns Frauen hingegen ist das in erster Linie ein vieldiskutierter Findungsprozess,<br />

der sich ganz offen in der Gruppe abspielt. Schon deshalb sind wir Frauen nie auf diese für uns<br />

seltsame Idee gekommen, Selbstanmeldung zu betreiben und das politische Handeln dieser<br />

Maßgabe unterzuordnen. Wir Frauen redeten miteinander über unsere Leistungsgrenzen, über<br />

unsere Handicaps im politischen Betrieb. Ich sah Frauen - auch Männer -, die seit Jahren ohne viel<br />

Medienrummel kompetent schufteten, aber nie etwa , obwohl sie viel eher einen Anspruch darauf<br />

hatten, eins höher zu rücken.<br />

Jedenfalls war Karriere für mich nie ein Thema; ich brauchte mir nichts zu beweisen. Viel<br />

später allerdings, <strong>als</strong> ich üblen Attacken ausgesetzt war, da wollte ich schon den klaren Beleg dafür<br />

antreten, dass eine Frau - in diesem Fall Marie Schlei - eine von den vielen ist, die etwas kann.<br />

Macht hatte ich auch - aber eine vertretbare Macht, die nicht darauf ausgerichtet war, andere<br />

Menschen zu verletzen, zu verdrängen, zu demütigen oder gar zu zerstören. Was ich im Unterricht<br />

von meinen Mädchen und Jungen an Verhaltensweisen gefordert hatte, versuchte ich auch in Bonn<br />

in die Tat umzusetzen. Mein Lebensversuch war es, immer Suchende zu sein, immer wieder zu<br />

wagen, sich und die Umgebung in Frage zu stellen. Das ist sicherlich nicht die einzige Lebensform,<br />

aber es ist eine sehr intensive, mitunter auch gefährliche.<br />

Helmut Schmidt musste mir lange zureden, um mich <strong>als</strong> Staatssekretärin im Kanzleramt<br />

zu gewinnen. Er kam auf mich zu und sagte: >Du wirst mein Staatssekretär

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