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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Nur Ute missfiel die Zweckentfremdung ihrer Nelle. Ute musste lange drum kämpfen, bis<br />

sie in der Gruppe den Ankauf von Nelle durchgesetzt hatte. Sie verbindet ein ganz zärtliches,<br />

beinahe mütterliches Gefühl mit dem Esel. An Regentagen kann sie Stunden mit ihrer Nelle im<br />

Stall verbringen. Auf den ausgiebigen Spaziergängen ist Nelle ihr treuester Begleiter. Ute stieß erst<br />

später auf die Fohrenbach-Landkommune. Sie kommt aus Berlin, ihren Lehrerberuf hat sie ebenso<br />

aufgegeben wie ihren Mann. Nikolaus, ihren 15jährigen Sohn nahm sie allerdings mit auf den Hof.<br />

Er ist ein gebeutelter Junge, der wenig Fröhlichkeit verbreitet. Nikolaus würde lieber in der Stadt<br />

leben <strong>als</strong> zwischen Hühnern und Misthaufen. Aber was soll er machen? Keiner außer Ute will ihn<br />

für längere Zeit haben. So bleibt ihm nur der Fohrenbachhof. Ute, ein wenig rund und pummelig,<br />

lebt in s ich gekehrt, schweigsam und anspruchslos. Ganz selten kommt es vor, dass sie mal<br />

explodiert. Wenn, dann aber unüberhörbar -Tassen und Wurstsalat flogen schon aus dem<br />

Küchenfenster.<br />

Vier Jahre Fohrenbachhof, das war für die Gruppe keine Spielerei. Das war überaus harte<br />

körperliche Arbeit, oft acht bis zehn Stunden am Tag, bei einem durchschnittlichen Stundenlohn<br />

von 1,90 Mark. Heute kann jeder ein Zimmer sein eigen nennen, die Felder werden pünktlich<br />

bestellt, die Ställe sind intakt, Kirschen und Erdbeeren füllen die Weckgläser, eine kleine<br />

Getreidemühle fürs Brotmachen wurde angeschafft, eine Käsemolkerei ist im Entstehen,<br />

Fohrenbachhof-Kartoffeln sind inzwischen in der Frankfurter Sponti-Szene zum Begriff geworden.<br />

Aber was für Erich, Irene, Hilde und Volker noch viel wesentlicher ist, sie sind<br />

zusammengeblieben, keiner stieg aus dem Ausstieg wieder aus. Ganz im Gegenteil: Während in<br />

anderen Landkommunen die Fluktuation zum größten Problem wird, wächst der Fohrenbachhof<br />

um Leute, die auch bleiben möchten.<br />

Vor zwei Jahren kamen John und Angela mit ihrer kleinen Tochter Rebecca. Benjamin,<br />

ihr jüngstes Kind, wurde ein Jahr später geboren. John bezeichnet den Fohrenbachhof <strong>als</strong> "die<br />

beste Landkomune", die er bisher erlebt hat. "Wir wollen hier unseren Weg zwischen bürgerlicher<br />

Anpassung und den neuen Heilslehren aus Poona suchen", erklärt John. Er muss es wissen. Denn<br />

John ist der typische Freak, unverbildet, welterfahren, launisch und putzmunter. Niederbayern hat<br />

John jedenfalls seine Handschrift schon aufgedrückt. In zwölf Landkommunen zog er Gemäuer<br />

hoch, baute Schornsteine und verputzte Wände, "Abends", sagt John, "da hab ich das Gefühl, dass<br />

ich was ganz Wertvolles für die Gemeinschaft getan habe, weil sich jeder über meine Mauern freut,<br />

und ich kriege so meine Selbstbestätigung." John ist Engländer und wuchs in Leeds auf. Als<br />

Schiffsfunker fuhr er Jahre zur See. Der Endpunkt für ihn war eine stürmische Nacht vor Island.<br />

Achtzehn Stunden hatte er schon gearbeitet, da sollte er auf Weisung des Kapitäns noch eine<br />

stotternde Maschine reparieren. Er hat es gemacht, hinter aber gekündigt. "Viele alte Werte sind in<br />

diesem Moment einfach aus der Luke geflogen. Ich habe mich gefragt, warum, was soll das?"<br />

John holte seine gesparten 2.000 Pfund Sterling vom Konto und ist durch Europa bis<br />

nach Indien getrampt. Er hat gesoffen, LSD geschluckt, gedealt, gevögelt, gestohlen und seine<br />

Mundharmonika gespielt. John über seine Rauschgift-Phase: "Ich habe so viel erlebt. Dreckiges<br />

und auch Gutes in der Zeit. Das war eine totale Hirnwäsche, bis ich selber gemerkt habe, dass ich<br />

neue Werte in meinem Leben brauchte. Es war chaotisch, ich bin halb verrückt geworden im<br />

bürgerlichen Sinn. Da waren Zeiten, da wusste ich einfach nicht mehr, was richtig oder f<strong>als</strong>ch war.<br />

Ich konnte nur schwer antworten, wenn mich jemand was fragte. Ich konnte nur sagen: "You<br />

know, do what you wanna do, man!" So war das.<br />

In Italien saß John vier Monate wegen illegalen Drogenbesitzes im Knast, dann wurde er<br />

ohne Gerichtsverhandlung abgeschoben. Über Griechenland ging er in den Vorderen Orient. Ich<br />

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