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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Gegner und auch keine Landkommunen. Die Menschen arbeiten strebsam in der Landwirtschaft,<br />

in Textil- und Uhrenfabriken, in Gießereien und in der Holzverarbeitung. Viele jobben noch nach<br />

Feierabend. So können sie ein Häuschen ihr eigen nennen, den auf Hochglanz polierten<br />

Mittelklassewagen ebenfalls. Gartenzwerge zieren den im Rasen eingelassenen Springbrunnen, die<br />

Schwarzwald-Uhr das Wohnzimmer. Und auf der Sparkasse vermehrt sich das bescheidene<br />

Guthaben stets ein wenig. Alles hat hier seine wohlerträumte Ordnung und läuft in den<br />

vorgegebenen Bahnen.<br />

Auch das Volksfest an diesem Wochenende. Der Spielmannzug intoniert die Polka "Drei<br />

rote Rosen". Mäzen Heribert, mit Mallorca-Bräune, Satintuch und beigem Samtpulli, lässt für die<br />

46 Mann eine Runde Bier springen. Die Leute sitzen auf den Holzbänken, schmausen<br />

Zwiebelkuchen und nippen frisch gekelterten Wein. "Brot für die Welt" wird gesammelt. Der Erlös<br />

geht an Pater Schenk aus Donaueschingen für seine Mission auf den Philippinen. Ein Stand der<br />

Gefangenenhilfs-Organisation amnesty international - von Lehrern betreut - klärt über Folter und<br />

Todesstrafe auf. Aus Freiburg im Breisgau angereiste Studenten verteilen Plaketten mit der<br />

Aufschrift "Atomkraft - nein danke". Am Abend stimmt der Trompetenchor "kein schöner Land<br />

in dieser Zeit" an. Manche summen, andere lallen mit. Auch die Jugendlichen sind dabei. In<br />

blauweißer Tracht schwingen sie die Fahne der Fürstenberger. Wie in jedem Jahr ist ihnen ein<br />

gefälliges Kopfnicken und der kräftige Händedruck der Stadt-Honoratioren gewiss.<br />

Über Jahre ließ Harald Heidenreich kein Volksfest, keinen Schützenfest-Bummel, keine<br />

Marktplatz-Rallye aus. Wo, was los war, war auch er. Wie seine Freunde hockte der dam<strong>als</strong><br />

18jährige in Eisdielen, Pinten und Discos oder lief seinerzeit mit dem ´laut aufgedrehten<br />

Kassettenrecorder unterm Arm durch die malerisch versonnene Altstadt. Sie schauten und pfiffen<br />

den Mädchen nach, bis Harald seine Bärbel fand und mit ihr Händchen haltend über den<br />

Marktplatz spazierte. Für Politik und Parteien hat er sich nie sonderlich interessiert, zu einer Wahl<br />

ist er bis heute nicht gegangen.<br />

Haralds Vater ist ein kleiner Angestellter beim Kreiswehr-Ersatzamt in Donaueschingen,<br />

seine Mutter kümmerte sich Jahr für Jahr um ihre sieben Kinder. In einer Drei-Zimmer-Wohnung<br />

wuchs Heidenreich auf, mit seinen sechs Geschwistern teilte er sich einen Schlafraum. Harald<br />

absolvierte die Hauptschule und mache eine Lehre <strong>als</strong> Installateur. Zum Abschluss gab ihm der<br />

Berufsschuldirektor den weisen Rat: "Üb immer treu und Redlichkeit." Für Donaueschingen nichts<br />

Außergewöhnliches. Und Harald dachte sich noch: "Hier bin ich geboren, hier lebe ich, hier will ich<br />

auch bleiben." Kleinstadt-Idylle nach der Abschluss-Feier.<br />

Am selben Abend klapperte Harald Heidenreich seine Discos und Pinten ab. Er stand<br />

teilnahmslos an der Theke, trank abwechselnd Cola oder Bier und starrte in die grellen Licht-<br />

Reflexe. Da war wenig vom Travolta-Glanz (John Travolta, * 1954, amerikanischer Schauspieler,<br />

Sänger, Entertainer, Scientologe) und seinem Saturday-night-feaver zu spüren. Es kotzte ihn an.<br />

Kurz nach Mitternacht fuhr er nach Hause, packte Jeans, Hemden, Pullover und Unterwäsche.<br />

Seine erst kürzlich gesparten dreihundert Mark nahm er sich aus Mutters Küchenschrank. Auf den<br />

Garderobentisch legte er einen Zettel: "Bin weg. Gruß Harald."<br />

Seither sind für ihn die Eltern und Geschwister, Freundin Bärbel, die Marktplatz-<br />

Kameraden - Donaueschingen überhaupt - passé. Nur einen hat er mitgenommen. Seine besten<br />

Freund Gerry. Der war schon mit vierzehn von zu Hause rausgeflogen und hatte zuletzt bei seiner<br />

Freundin in Hüfingen gewohnt. Nun war auch dort Schluss. Als die beiden gegen 3.30 Uhr in<br />

Freiburg auf die Autobahn gingen, ließ Gerry eine Pink-Floyd-Kassette laufen. Wohin sie eigentlich<br />

wollten, wussten sie selber nicht; vielleicht nach Göttingen, wo Haralds Bruder wohnte, vielleicht<br />

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