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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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auf dem Rücken. Beides ist inzwischen abgeschafft. Aber noch immer ist der Luftraum über<br />

Libertad im Umkreis von zehn Meilen Sperrgebiet. Ein verirrtes Sportflug-zeug wurde erst<br />

vierzehn Tage vor unserem Besuch durch MG-Feuer zur Landung gezwungen. Die Zahl der<br />

Soldaten wollte der Kommandant nicht nennen. "Genug, um die Sicherheit zu gewährleisten." Es<br />

ist inzwischen tiefe Nacht. Graciella, unsere Dolmetscherin, ist merkwürdig still geworden. "Die<br />

Gefangenen hatten so traurige Augen", sagt sie. Wir fahren an den letzten Posten vorbei. Die Läufe<br />

ihrer Maschinenpistolen zeigen auf uns.<br />

Postscriptum. – Im Jahre 1985 ist Uruguay nach zwölf Jahren Militärdiktatur zur<br />

Demokratie zurück-gekehrt. In diesem Zeitraum "verschwanden" 200 uruguayische Staatsbürger<br />

spurlos. Darunter befanden sich auch Kinder, die zusammen mit ihren Eltern verschleppt oder von<br />

entführten Frauen in geheimen Haftzentren geboren wurden. Zehntausende Menschen sind unter<br />

der Militärdiktatur gefoltert und misshandelt worden; nahezu jede dritte Familie des Landes hat ein<br />

Folteropfer zu beklagen. Zudem war einer von fünfzig Einwohnern mindestens zeitweise<br />

inhaftiert. Gemessen an der Einwohnerzahl (3,3 Millionen) galt Uruguay <strong>als</strong> der Staat mit den<br />

meisten politischen Gefangenen. Nur - auch Jahrzehnte nach der Horror-Herrschaft - eine<br />

systematische gerichtliche, intellektuelle, schonungslose Aufarbeitung jener<br />

Menschenrechtsverbrechen im Wechselspiel zwischen Ursache und Wirkung - die hat nicht<br />

stattgefunden.<br />

Von einigen kurzzeitigen Inhaftierungen abgesehen, wurde kein verantwortlicher Politiker<br />

oder Militär für Mord, Folterung, Verschleppung in jenen Schreckensjahren vor Gericht zur<br />

Verantwortung gezogen. Grundlage für die Straffreiheit war ein Gesetz aus dem Jahre 1986 "über<br />

die Hinfälligkeit des Strafanspruchs des Staates" nicht zur Verantwortung gezogen. Die sterblichen<br />

Überreste von insgesamt 25 Verschwundenen, die seit 1973 sterben mussten, sollen bereits schon<br />

im Jahre 1984 ausgegraben und daraufhin verbrannt worden sein. Die Asche sei in der Nähe eines<br />

Stadtrandviertels von Montevideo in den Rio de la Plata geschüttet worden. - Paradebeispiel,<br />

Spurenvernichtung, Vergangenheitsbewältigung in Uruguay.<br />

In Dorf Libertad, im Departement San José, 51 Kilometer von Montevideo entfernt,<br />

wurde gleichsam eine unscheinbare Kontinuität gewahrt. Aus dem einstigen KZ für politische<br />

Gefangene wurde ein Sicherheitstrakt für Schwerstverbrecher. Allein im Jahr 2002 erhöhte sich die<br />

Anzahl der Todesfälle innerhalb von fünf Monaten auf 14 Häftlinge. Nummer 13 wurde erhängt<br />

am Gefängnis-Fenster gefunden, Nummer vierzehn lag erstochen auf seiner Pritsche. Weitere vier<br />

Inhaftierte sind nach einer Revolte umgekommen. Sie protestierten gegen Überfüllung, gegen<br />

fortwährende Misshandlungen. Zerstörung in Libertad. Behörden schalteten daraufhin den Strom<br />

ab, stellten Wasser- und Nahrungsmittelversorgung der Gefangenen ein. Nach Berichten von<br />

amnesty international wurden in Libertad vier weitere Tote gesichtet. Dem zuständigen<br />

Innenminister Guillermo Stirling (1998-2004) zufolge hätten sie Selbstmord begangen oder seien<br />

umgekommen, <strong>als</strong> die Insassen "alte Rechnungen untereinander beglichen". Von den Medien<br />

befragt, verwechselte der Minister ein Gefängnis mit einem anderen. "Aber letztendlich", so befand<br />

er <strong>als</strong> Rechtfertigung sozusagen, "was soll's, ob alte oder auch moderne Sicherheitsgebäude tun<br />

nichts zur Sache, weil sich überall die Wärter nur noch in die Zelle trauen, wenn die Gefangenen<br />

gerade ihre Runden auf dem Hof drehen."<br />

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