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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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idealtypische Wunschdenken an ihre Pflichten im "Heim und Herd" erinnerte. Gehätschelt,<br />

umsorgt, auch bevormundet von Nachkriegsmüttern, die die Wünsche ihre Jungs befriedigten, wo<br />

und wann immer sie auch rumorten. Knaben-Gesellschaften mit mütterlich angedichtetem<br />

Madonnen-Kult späterer Jahre.<br />

Der Autor: "Ich kam nach Hause. Wie jeden Mittag befand sich meine Mutter am Herd ...<br />

Ihre 46jährige Schwester, Tante Hilde, saß neben der Tür, las, häkelte, aß Petersilie oder<br />

Mohrrüben. Meine Großmutter nähte an der Maschine nahe am Fenster. Alles wartete auf meine<br />

drei Jahre alte Schwester Gudrun, die das Diepholzer Gymnasium besuchte. Mit uns Kindern<br />

kehrte das Leben zurück in die zwei kleinen Zimmer der ausgebauten Scheune eines Bauernhofes.<br />

Der Morgen der drei Frauen verlief ereignislos. Das Gespräch drehte sich um die schöne alte<br />

Heimat, um die verpassten Chancen in Pommern und um die Rückständigkeit der einheimischen<br />

Bevölkerung."<br />

Trennung erzeugt Sehnsucht und Hoffnung, das wissen wir seit eh und je. Der Tod des<br />

Vaters, der in einem Armen-Grab auf dem Diepholzer Friedhof im Jahre 1947 seine letzte Ruhe<br />

fand, wird zur "tragischen Liebe" erkoren, die sich nicht mehr erfüllen kann. Legendenbildung statt<br />

Aufklärung. Jörg-Ulrich Vandreier liest leise vor, wenn er gerade mal diese Textpassade erwischt.<br />

Nachhaltigkeit ist angesagt. Diese "große" Liebe im Vandreier-Haus des Matriarchat fehlender<br />

Männer wird idealisiert wie idyllisiert. (Backsteinhäuser sind natürlich rot und der Schulhof ein<br />

wehmütiges Asservat ehrwürdiger Linden-Bäumen). Nur, so will es scheinen, ist diese nachträglich<br />

verkitschte Liebes-Vehemenz nicht zu widerlegen. Sie ist ein Teil des Fertigwerdens mit dem<br />

Kriegsdesaster, der Überlebens-Strategie in jenen verklemmten, ungepuderten Zeiten. Sie ist eine<br />

seelische "Notwendigkeit, der sich auch Fantasielose kaum werden entziehen können", schrieb<br />

Rüdiger Wurr in seinem Buch "Prinzen und ihre Mütter" (Klett-Cotta , Stuttgart, 1985).<br />

Der Autor: "Meine Mutter sah mir sofort an, dass sich meine Laune nach unten bewegte.<br />

'Hast du in der Schule Ärger gehabt?' In meinen kurzen 'Nein' war zu erkennen: Ich wollte meine<br />

Gemütsbewegungen alleine bewältigen. ... Mit einem hatte meine Großmutter endgültig aufgehört<br />

zu nähen, sie fiel förmlich in sich zusammen. Ihre wasserblauen Augen schauten sehr traurig aus<br />

dem Fenster (auf verschneiten ) Landschaften und Wiesen zu dem weit entfernten Bauernhof, dem<br />

einzigen Haus, das von ihrem Platz aus zu sehen war. Dann trat Großmutter mit der ganzen Kraft<br />

auf das Pedal der Nähmaschine. Die mechanische Nadel fuhr rasend auf und nieder, und meine<br />

Großmutter schob mit ihrem ganzen Gewicht den Stoff gegen die blitzende Nadel. ... ... Jetzt kam<br />

meine Schwester Gudrun aus Diepholz nach Hause drei Jahre älter ist war sie. Auf dem Flur<br />

stampfte Gudrun den Schnee von den Schuhen. ... ... Am liebsten wäre ich aus dem engen Zimmer<br />

in den Hof gelaufen, doch meine Mutter schmeckte zum letzten Mal die Suppe ab. Ihrem<br />

Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass sie mit ihrer Kochkunst sehr zufrieden war. Ein<br />

nochmaliges Verlassen des Zimmers hätte den notwendigen Respekt vermissen lassen."<br />

Unbedachte Sätze des Autors lassen längst vergessene Rückschlüsse zu. Es sind<br />

offenkundig landläufig aufgedröselte Beiläufigkeiten über seelische Verfassungen wie<br />

Verklemmtheiten vieler in den fünfziger Jahren. Ob Buchschreiber Vandreier oder auch so manch<br />

anderer, sie wurden nach Maßgabe von Alexander Mitscherlich Opfer des Matriarchat. Vandreier<br />

schrie mehr <strong>als</strong> einmal: "Mutter, was hast du aus mir gemacht?" -Alexander Mitscherlich<br />

(*1908+1982) schrieb zu den ambivalenten Gefühlsverwirrungen : "Das Kind wird mehr oder<br />

weniger zum Objekt, an dem sie ihre (Mutter) Unlustspannungen auslässt. Diese unsere<br />

Gesellschaftsentwicklung immanente Belastung der Mutter-Kind-Beziehung zu bagatellisieren oder<br />

gar in madonnenähnlichen Überhöhungen der oft unschuldigen, gereizten, an ihre Pflichten<br />

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