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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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hängen, trudeln sie in den Sumpf der Mittelmäßigkeit, dessen Ufer alle rechts liegen . . . Gerade die,<br />

die gestern Marx und Lenin auswendig aufsagten, anstatt sie zu verstehen und weiterzuentwickeln,<br />

werfen denen, die noch Linke sind und selten Dogmatiker waren, die eigene Vergangenheit vor.<br />

Wie sie Marx vergöttern, den ich schätze, so beten sie heute mit zunehmender Entschlossenheit,<br />

zum goldenen Kalb kapitalistischer Marktwirtschaft. Sie grenzen wie Antje Vollmer am liebsten<br />

nach links aus und öffnen sich nach rechts. Was ist auch schon die Utopie sich befreiender<br />

Menschen gegen einen warmen Platz im Kreis bürgerlicher Honoratioren? Die Grünen werden zur<br />

persönlichen Beute. Eine Idee, die wahrhaftig zur persönlichen Bereicherung gedacht war, stirbt . .<br />

.".<br />

Am Ende der Feminatszeit 1985 - Antje Vollmer hatte infolge der anstehenden Rotation<br />

ihr Bundestagsmandat niedergelegt - holten sie die Folgen des 'Deutschen Herbstes 1977' ein. Das<br />

Schicksal der RAF-Gefangenen hat Antje Vollmer nie losgelassen: "Es konnte mir nie gleichgültig<br />

werden - selbst wenn ich es gewollt hätte." Gemeinsam mit ihrer Freundin der Grünen-<br />

Bundestagsabgeordneten Christa Nickels, schrieb sie einen Brief an die inhaftierten RAF-Mitglieder<br />

- ein Zeichen, auf einander zuzugehen. Regelmäßig besuchten die beiden Frauen RAF-Gefangene,<br />

die sich vom Terrorismus losgesagt hatten. Sie bemühten sich, Hafterleichterungen und<br />

Haftverkürzungen durchzusetzen. Und sie versuchten, mit denen ins Gespräch zu kommen, die<br />

noch stur auf der Linie der RAF waren.<br />

Antje Vollmer hoffte herauszufinden, "ob die Hardliner unter Umständen nicht bereit<br />

waren, andere Wege einzuschlagen. Das heißt keineswegs: Amnestie für alle. Aber wenn unsere<br />

Gespräche einen Sinn haben sollten, dann müssen wir denen genauso etwas abringen wie der<br />

Gesellschaft. Wir versuchten, unsere Erfahrungen mit dem gewaltfreien Widerstand zu vermitteln.<br />

Gerade wir Grünen müssen nach Methoden suchen, wie wir der Gewalt der Militanten gewaltfreien<br />

Widerstand entgegensetzen." Verständlich, dass eine Einzelkämpferin wenig auszurichten<br />

vermochte. Antje Vollmer hatte sich viel vorgenommen, vielleicht zu viel, obwohl ihr die Medien<br />

für die von ihr angestrebte neue Nachdenklichkeit breiten Raum gaben. Dabei nahm sie in Kauf,<br />

bei ihren fast ausweglosen Vermittleraktivitäten für naiv und lebensfern gehalten zu werden. Ein<br />

Vorwurf, den sie offensiv ins Positive zu verkehren suchte. "Naivität ist unsere Waffe", diktierte sie<br />

den Bonner Journalisten in ihre Schreibblocks. Es war ihr damaliger Fraktionskollege und einst<br />

prominenter RAF-Verteidiger Otto Schily (SPD-Übertritt 1997, Bundesminister des Inneren 1998-<br />

2005), der ihr in den Rücken fiel.<br />

Er wollte den Dialogversuch der beiden Politikerinnen keineswegs <strong>als</strong> "Christenpflicht"<br />

gewertet wissen. Im Gegenteil, Otto Schily warf ihnen vor, "großen politischen Schaden<br />

angerichtet" zu haben. Es sei "unverantwortlich", so Schily in einer Presserklärung, "in nahezu<br />

devotem Ton gegenüber Personen, die in gewissenloser und aberwitziger Realitätsverkennung<br />

Mord und Gewalt propagierten und praktizierten, um Gespräche zu ersuchen." Antje Vollmer ließ<br />

sich nicht beirren. "Wir haben mit vielen Politikern und mit vielen Gefangenen darüber geredet<br />

oder zu reden versucht. Die Wahrheit ist: Es gibt seit Jahren kein einziges Lösungskonzept außer<br />

dem, das Ulrike Meinhof (*1934+1976) ein halbes Jahr vor ihrem Selbstmord - am 9. Mai 1976 - in<br />

Stuttgart-Stammheim geschrieben hat." In der Tat waren es Worte der Ausweglosigkeit. Ulrike<br />

Meinhof: "Wie kann ein isolierter Gefangener den Justizbehörden zu erkennen geben,<br />

angenommen, dass er das wollte, dass er sein Verhalten geändert hat? Wie? Wie kann er das in einer<br />

Situation, in der bereits jede, absolute jede Lebensäußerung unterbunden ist? Dem Gefangenen in<br />

der Isolation bleibt, um zu signalisieren, dass er sein Verhalten geändert hat, überhaupt nur eine<br />

Möglichkeit, und das ist Verrat . . . Das heißt, es gibt in der Isolation exakt zwei Möglichkeiten:<br />

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