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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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wurden schon Häuser besetzt, <strong>als</strong> noch nirgendwo von Hausbesetzungen die Rede war. Hier wurde<br />

demonstriert, spekuliert, kaputtgemacht, gewuchert, vergeudet, radikaler, brutaler, besinnungsloser<br />

<strong>als</strong> in irgendeiner vergleichbaren Stadt.<br />

Zum Dunstkreis der sattsam Arrivierten dieser Rhein-Main-Region zählen ihre exquisiten<br />

Klubs: Rotary Club, Union Club, Handelsclub, einflussbesessene Inzuchtvereinigungen. Eine<br />

vornehmlich konservative Welt ist das, die den Frankfurter Sparkassen-Werbeslogan aus den<br />

fünfziger Jahren zum Credo erhob. "Haste was, biste was." Einst Walter Wallmann (1977-1986) <strong>als</strong><br />

Oberbürgermeister, dann Wolfram Brück (1986-1989) seit 1995 beinahe zwei Jahrzehnte die<br />

CDU-Kommunalpolitikerin Petra Roth finden in diesen diskreten Kapital-Klubs ihre fundamentale<br />

Stütze, seit sie mit einem Erdrutschsieg im Jahre 1977 die absolute Mehrheit im Stadtparlament<br />

gewonnen haben. Schon dam<strong>als</strong> sagte sich erst zaghaft, dann immer vehementer der CDU-Staat<br />

dieser Tage an; stets auf der Suche nach Alternativen zu den Alternativen.<br />

Denn früher, krasser, auch gewalttätiger <strong>als</strong> anders wo in Deutschland, Berlin<br />

ausgenommen, hatte sich hier ein aufgetan: Stadtindianer, Stadtguerillas, einfache RAF-<br />

Sympathisanten aus Folterkomitee und roter Hilfe, Sponti und Grüne, Homos und Heteros,<br />

Frauengruppen und Gastarbeiterkinder, arbeitslose Mädchen und Jungen, heimatlose Mischlinge<br />

aus amerikanischen Kasernen, Rocker und Punks - eine kunterbunte Verweigerungs-Gesellschaft,<br />

die alles oder nichts ist, die kein einheitliches Gesicht hat, die ihre Vitalität aus eigenen und<br />

fremden Widersprüchen bezieht und sich nur in einem Punkt einig weiß: in der Negativ-<br />

Abgrenzung gegenüber der Wirklichkeit.<br />

Dieses Gegenkultur, von der bürgerlichen Welt oft <strong>als</strong> "Neurosen- und Exhibitionismus-<br />

GmbH" belächelt, arbeitet sich seit einem Jahrzehnt am Widerstrebenden ab. Ständig auf der Suche<br />

nach sich selbst, absprungbereit zu einer lang herbeigesehnten, neuen Identität. Frankfurt ist für die<br />

Spontis ihr Schauplatz, für den sie Hass und Verachtung empfinden, der sie zu Gegnern dieses<br />

Staates werden ließ, ohne den aber ihr Weltbild erst recht lädiert wäre. Eine Hassliebe, die keinen<br />

Stillstand kennt, immer neue Nahrung findet.<br />

So steht's im PflasterStrand (1976-1990), dem Zentralorgan der Spontis, geschrieben: "<br />

Frankfurt - eine erotische Stadt. In Berlin ist alles so halbseiden, selbst die Subkultur lebt von der<br />

Staatskrediten. In Hamburg gibt es mehr Häuser im englischen Stil, dafür sind die Leute stämmig<br />

und wetterfest. In Berlin machen die Punks das, was hier vor zehn Jahren die Anarchos gemacht<br />

haben. In Frankfurt weigern sich die Punks, das kaputtzumachen, was uns kaputtmacht. Sie<br />

machen lieber das kaputt, was sie kaputtmacht. Alle Leute fragen sich, was machen<br />

Hunderttausende in Poona, aber niemand fragt sich, was machen Fünfzigtausende in Höchst.<br />

München ist auch eine schöne Stadt, von Dachau aus gesehen.<br />

Gewiss, Frankfurt ist nicht Deutschland und die Sponti-Szene auch die viel zitierte<br />

deutsche Jugend. Aber wenn Ernst Blochs (*1885+1977) These von der Ungleichzeitigkeit zutrifft,<br />

dann zwischen Frankfurt und dem Rest des Landes. Frankfurt, Mitte der achtziger Jahre ist<br />

eventuell die Bundesrepublik von übermorgen. Parallelen, die nicht augenscheinlich verlaufen, oft<br />

erst durch Zeitlupentempo im nachhinein greifbar werden. Tatsächlich ist Frankfurt eine<br />

Metropole, die Verwirrung stiftet, gedankliche Grenzüberschreitungen auslöst; eben eine<br />

Metropole der bewussten Missverständnisse und unbewussten Genauigkeiten, Alles, was in<br />

Frankfurt passiert, ist missverständlich und genau. Schon allein deshalb wäre Frankfurt nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg (1939-1945) die ehrlichere Hauptstadt für dieses Land gewesen. Ein<br />

Missverständnis ist schon die Außenausstattung der Stadt. Menschen wurden entwurzelt, an ihren<br />

Rand ausgebürgert und vom Beton verschluckt. Urbane Viertel mit alter Bausubstanz und Parks<br />

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