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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Genossen schauen belustigend um sich. Der eine zum anderen: "Und schlägt unser Arsch auch<br />

Falten, wir bleiben die Alten."<br />

Dann kommt Wehner auf die Sonthofener Rede des Franz Josef Strauß. Beim Zitat,<br />

wonach die wirtschaft-liche Lage "wesentlich tiefer sinken muss, bis wir Aussicht haben, mit<br />

unseren Vorstellungen gehört zu werden", krakeelt die Junge Union "Bravo". Wütend reißt Wehner<br />

das Mikrophon beiseite. "Diese Zinnsoldaten, diese Reißbrettstrategen, diese Maulhelden."<br />

Herbert Wehner wischt sich den Schweiß von der Stirn. Ein Ordner rückt das Mikrophon<br />

wieder zurecht. Als nächster bekommt Richard Jaeger (*1913+1998), CSU-Vizepräsident des<br />

Bundestages, sein Fett ab. Wehner erinnert daran, dass es Jaeger war, der 1969 in der katholischen<br />

"Deutschen Tagespost" geschrieben hat: "Wenn Brandt neuer Bundeskanzler wird, muss man sich<br />

fragen, ob wir nicht über Nacht die Rote Armee hier haben." "Kopfab-Jaeger", empört sich das<br />

Publikum. "Nein", sagt Wehner ruhig, "der heißt 'Gliedab-Jaeger'."<br />

Die Junge Union hält es nicht mehr auf den wackeligen Stühlen, "Pfui", tönt es im Chor.<br />

Der SPD-Genosse bleibt gelassen: "Aber meine Herren, liebe Knaben und Mädchen! Da sagen Sie<br />

doch nicht 'Pfui'. Wir sind hier nicht im Damenpensionat." Für den alten Kämpen ist die<br />

Provokation des Gegners bewährtes Mittel, um die eigenen Anhänger zu mobilisieren.<br />

In Iserlohn, wo sich die Kohl-Truppe auf der linken Sa<strong>als</strong>eite platziert hat, hämmert<br />

"Onkel Herbert" pausenlos auf die Jung-Konservativen ein. "Sie Lümmel, Sie Pimpf! Ich werde Sie<br />

schon ruhig kriegen. Mich alten Mann können Sie nicht verkohlen!" Schimpftiraden wollen kein<br />

Ende nehmen. Der Ortsvereinsvorsitzende schiebt dem SPD-Kämpen einen Zettel zu, er solle sich<br />

nicht in Rage bringen lassen.<br />

Plötzlich, <strong>als</strong> sei nichts gewesen, wird das Raubein Wehner behutsam. "Ich bin ein alter<br />

Mann, der hierher gekommen ist, um Ihnen meine Erfahrungen mitzuteilen", sagt er fast<br />

entschuldigend zu den Iserlohnern. Dann beschwört er die Vergangenheit. Aus einem vergilbten<br />

Bändchen aus dem Jahre 1925 ("Redner und Revolution") zitiert er den sozialistischen Altvater<br />

Ferdinand Lassalle: "Die Geschichte ist ein Kampf der Natur" (Ferdinand Lassalle *1825+1864;<br />

u.a. Wortführer der deutschen Arbeiterbewegung).<br />

Über den 1972 verstorbenen IG-Metall-Chef Otto Brenner (*1907 +1972; "Ein kritischer<br />

Freund"), den früheren Bremer Bürgermeister Wilhem Kaisen (*1887+1979; "Ein Vorkämpfer der<br />

Sozialdemokratie") kommt er fast reumütig zu jenen Unions-Abgeordneten, mit denen er sich in<br />

den fünfziger und sechziger Jahren manch hitziges Rededuell geliefert hatte. Gern zitiert er den<br />

damaligen CDU-Fraktionschef Heinrich Krone (*1895 +1989), erinnert sich, wie er mit dem<br />

früheren Außenminister von Brentano (*1904+1964) nach dem Bau der Berliner Mauer in einem<br />

Frankfurter Hotel am Radio dem DDR-Chefkommentator Karl-Eduard von Schnitzler<br />

(*1918+2001)zuhörte. Und wie Adenauer und Lübke der SPD 1963 Verdienste um die Demokratie<br />

und den Wiederbau bescheinigten.<br />

Wahlkampf 1976 - für Herbert Wehner ein Exkurs in die jüngste Geschichte, für das<br />

Publikum ein Vorgriff auf seine Memoiren. "17 Jahre", sagt er, "bin ich Vorsitzender des<br />

Gesamtdeutschen Ausschusses gewesen und drei Jahre Minister für Gesamtdeutsche Fragen. Ich<br />

kenne alles sehr genau. Ohne die SPD hätten wir heute keinen freien Teil Berlins."<br />

Es ist die Bilanz eines Mannes, der alle Schlachten geschlagen hat. Der Kommunist war,<br />

der <strong>als</strong> solcher immer noch verteufelt wird; der Narben davontrug, die manchmal noch schmerzen,<br />

wenn der wütende Demokrat Wehner angegriffen wird von Demokraten, denen dieser Begriff allzu<br />

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