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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Jahr 1972 hätte man ihn wegen des "tiefen Blicks in die Schnapsflasche" eine Lohngruppe tiefer<br />

eingestuft. Jetzt habe Hüper bei den Löscharbeiten am Schuppen 59 wieder besoffen, sei daraufhin<br />

schriftlich verwarnt worden und habe dann vierzehn Tage später im Vollrausch auf dem Gelände<br />

der Hamburger Stahlwerke herum krakeelt. Der Unternehmeranwalt ruft laut in den Sitzungssaal<br />

1387: "Aller guten Dinge sind drei. Die Kündigung war fällig."<br />

Die beiden Laienrichter - je einer vom Arbeitgeberverband und von den Gewerkschaften<br />

bestimmt, an diesem Tage ein Handwerksmeister und ein Sparkassen-Angestellter - blicken auf<br />

Richter Vogel. Der Fall scheint klar zu sein. Für den Arbeitsrichter ist er es aber nicht. Immer wenn<br />

es laut wird im Saal - das passiert oft, und Spektakel stößt ihn nun mal ab -, vertieft sich Richter<br />

Vogel in die Akten. Und dort findet er heraus, dass Hafenarbeiter Hüper im Jahre 1972 zu Unrecht<br />

in eine niedrige Lohngruppe runter gestuft worden war. Hüper hatte erst nach der ersten Schicht<br />

etwas getrunken: Er konnte nicht wissen, dass ihn die Firma auch noch für die zweite Schicht<br />

benötigte. Und für den letzten Vorfall konnte das Unternehmen nicht einen Zeugen benennen, der<br />

Hüpers angetrunkenen Zustand bestätigte.<br />

Der Alkoholtest, dem sich Hüper an dem umstrittenen Abend auf Veranlassung der<br />

Firma freiwillig unterzogen hatte, ergab zudem einen Promille-Satz von nur 0,7 bis 0,8. Hüper:<br />

"Der Erste Offizier hatte mich zu einer Flasche Bier und einem Glas Aquavit eingeladen." Das<br />

Urteil: "Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung nicht aufgelöst worden." Der<br />

Hafenarbeiter hat seinen Rechtsstreit gewonnen. Aber die Gegenseite will Berufung einlegen.<br />

Genau geht es auch Peter Remmers. Dreizehn Jahre lang war der Arbeiter bei der<br />

Bundesbahn. Jetzt muss er sich gegen den fristlosen Rausschmiss wehren. Für den Schranken- und<br />

Streckenwärterdienst, so erklärt der Anwalt der Bundesbahndirektion, sei Remmers nicht mehr<br />

tauglich, und andere Arbeitsplätze könne ihm die Bahn nicht anbieten. Er sei einmal <strong>als</strong><br />

Streckenposten durch merkwürdiges Benehmen aufgefallen und deshalb ein Fall für den Psychiater.<br />

Obwohl wochenlange Untersuchungen in der Neurologischen Abteilung des Allgemeinen<br />

Krankenhauses Hamburg-Altona und im Landseskrankenhaus Schleswig keine Diagnose erbrachte,<br />

notierte der zuständige Bahnarzt. „dass bei Remmers mit Sicherheit eine Psychose vorliegt, die<br />

diesen für den Betriebsdienst und damit auch für den Baudienst untauglich macht."<br />

Auch der Kündigungs-Widerspruch des Personalrats ("Alle Fürsorgemöglichkeiten<br />

müssen ausgeschöpft werden") half nichts, Remmers verlor seinen sicher geglaubten Arbeitsplatz<br />

bei der Deutschen Bahn. Vom Makel des Bekloppten, des seelisch gestörten Mannes, konnte ihn<br />

das Arbeitsgericht zwar nicht befreien, gleichwohl wurde die Kündigung für rechtsunwirksam<br />

erklärt. Vogel: Die Behauptungen der Bundesbahn, Remmers sei aus gesundheitlichen Gründen für<br />

den Bahndienst untauglich, ist nicht durch einlassungsfähige Einzelheiten begründet worden."<br />

Wie an jedem Mittwoch, dem Sitzungstag der elften Kammer des Hamburger<br />

Arbeitsgerichts, werden auch an diesem Tag Urteile am Fließband produziert. Im Gerichtsflur hat<br />

sich ein Völkergemisch versammelt. Griechen, Türken, Spanier, Kroaten mit ihren Dolmetschern<br />

und Anwälten sind der nächste Schub.<br />

Wieder sitzt die Deutsche Bundesbahn auf dem Platz des Beklagten. Die Bahndirektion<br />

hatte Mirko Stojanovic gekündigt, weil er im Wohnheim "Trave" einen Landsmann mit dem<br />

Brotmesser bedroht haben soll. Richter Vogel: "Was hat eigentlich der Arbeitsplatz mit dem<br />

Wohnheim zu tun? Oder gibt es für Gastarbeiter keine Privatsphäre?<br />

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