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Stark und mächtig möchten die Niedersachsen schon sein. Bis heute haben sie sich von<br />

ihrem Preußenschock nicht erholt: dass sich der blinde Welfenkönig Georg V. von Hannover 1866<br />

gegen die Preußen bei Langensalza kampflos geschlagen gab und sein Land von Preußen<br />

einkassieren ließ. Erst <strong>als</strong> die Alliierten im Jahre 1946 Niedersachsen zu einem Bundesland<br />

machten, "kamen wir wieder an den Drücker" (Rehwinkel).<br />

Wer in Niedersachsen nach dem Krieg auch das Sagen hatte, ob der Bauernführer, der<br />

konservative Sozialdemokrat Kopf, die ehemaligen Bundesminister Hans-Christoph Seebohm<br />

(1949-1966; *1903+1967) und Heinrich Hellwege (1949-1955; *1908+1991), erst in der stramm<br />

nationalen "Deutschen Partei", dann in der CDU, ob in Hannover eine Große Koalition herrschte<br />

oder die Christdemokraten in der Opposition standen: Alle fühlten sich zuerst <strong>als</strong> Welfen, dann <strong>als</strong><br />

Parteipolitiker, Nach harten Redeschlachten im Provinz-Parlament hockten die "Kopf und<br />

Hellweges" einträchtig in hannoverschen Altstadt-Kneipen zusammen, spielen Skat oder<br />

Doppelkopf und machten sich lustig über den Spektakel, den sie gerade im Landtag für die<br />

Öffentlichkeit veranstaltet hatten.<br />

Es waren auch die Zeitläufte, Jahrzehnte eines noch erkennbaren niedersächsischen<br />

Urgesteins im deutschen Journalismus. Unverwechselbar hat er seine Nachrichten-Geschichten<br />

und Reportagen oft mit hintergründiger Ironie und Beobachtungsgabe formuliert. Der Spiegel-<br />

Korrespondent zu Hannover, Wolfgang Becker (*1922+2008), wurde schon zu Beginn der<br />

sechziger Jahre zur Legende. Mit Vorliebe traf er meist seine Informanten an Bier-Tresen oder in<br />

Eckzimmern stadtbekannter Pinten. Zwischendurch verschwand Spiegel-Becker immer wieder mal<br />

aufs Klo, um Zitate seiner Gesprächspartner auf Bierdeckel oder Quittungen zu notieren.<br />

Wolfgang Becker war mit seinem vorgelebten Leben ein Lehrer, er wurde in seinen<br />

journalistischen Jahrzehnten zu einer unbestechlichen Instanz - kritisch und frei, journalistisch<br />

brillant - im Niedersachsen-Land. Diese scheinbare Selbstverständlichkeit gewinnt erst bei näherer<br />

Betrachtungsweise an Tiefenschärfe, ihr Gewicht - gemeint ist die allseits um sich greifende,<br />

unauffällige, alltägliche journalistischer Käuflichkeit ; Gefälligkeitsberichte genannt. Es blieb dem<br />

Verfassungsschutz-Chef Joachim Bautsch in Hannover vorbehalten, darauf hinzuweisen, dass<br />

zwölf Korrespondenten namhafter Zeitungen auf der Gehaltsliste seiner Schnüffel-Behörde stehen;<br />

jedenfalls <strong>als</strong> "besonders gute Gelegenheitsinformanten" ihr Handwerk verstehen. Deshalb<br />

wünsche er sich, dass noch mehr spürsinnige Redakteure mit dem Inlands-Geheimdienst<br />

zusammenarbeiteten.<br />

Zumindest in der Politik fand die ehrbare Welfen-Kumpanei erst ein jähes Ende, <strong>als</strong> die<br />

Große Koalition im niedersächsischen Landtag 1970 zerbrach. Mit dubiosen FDP- und<br />

rechtsradikalen NPD-Überläufern wollten die Christdemokraten den SPD-Ministerpräsidenten<br />

Georg Diederichs (*1900+1983) stürzen und ihren Vorsitzenden Wilfried Hasselmann<br />

(*1924+2003) auf den Stuhl Landesvater-Stuhl hieven. Sie wähnten sich zu besagter Zeit schon <strong>als</strong><br />

gestählte Sieger des Machtwechsels. Im Fraktionssaal stimmten die CDU-Männer bereits ihr<br />

"Niedersachsen-Lied" an. "Wir sind die Niedersachsen, sturmfest und erdverwachsen ... Heil,<br />

Herzog, Widukinds Stamm." Doch der CDU- Coup scheiterte. In den Landeswahlen 1970 bekam<br />

die FDP mit ihren 4,4 Prozent nicht einen einzigen Abgeordneten ins Parlament, und SPD-<br />

Ministerpräsident Alfred Kubel (1970-1976; *1909+1999) musste seitdem mit einer Stimme<br />

Mehrheit (SPD : 75, CDU : 74) im hannoverschen Leineschloss regieren.<br />

Jetzt schimpfen beide Seiten nur noch übereinander: "Mit diesem Lumpenpack diskutiere<br />

ich nicht mehr" (Kultusminister Peter von Oertzen, SPD (*1924+2008) zur CDU. - "Sie sind ein<br />

Menschenverächter" (CDU-MdL Edzard Blanke zu Ministerpräsident Alfred Kubel) - "Hier wird<br />

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