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GEWONNEN – UND DOCH VERLOREN – URTEILE IM<br />

VIERTEL-STUNDEN-TAKT. SORGEN DES<br />

ARBEITSRICHTERS MICHAEL VOGEL<br />

Immer öfter werden Arbeitnehmer fristlos entlassen, und fast jeder Gefeuerte ruft<br />

die Justiz um Hilfe an. Doch was nützt es, wenn die Kündigung "im Namen des Volkes"<br />

für Unrecht erklärt wird? Der Job ist ohnehin weg; Billig-Jobs, rechtlose Jobs. Trübe<br />

Aussichten in Deutschland seit eh und je. Überlastete Richter, verschleppte Verfahren,<br />

Klagen über Klagen, Prozesstermine im Viertelstunden-Takt. Nur - wer sich nicht wehrt,<br />

hat schon verloren.<br />

stern, Hamburg 04. November 1976<br />

Die Herren im grauen Flanellanzug und schwarzer Robe kommen schnell zur Sache.<br />

Richter Michael Vogel überfliegt noch einmal die Akte mit dem Geschäftszeichen 11 CA1251/75,<br />

die beiden Anwälte werfen einen Blick in ihre Unterlagen.<br />

Vor dem Hamburger Arbeitsgericht geht es diesen Mittwochmorgen um den Fall Regina<br />

Würger. Die Kontokoristin war von ihrer Firma fristlos gefeuert worden. "Probezeit ist eben<br />

Probezeit", Herr Vorsitzender. Es bleibt doch schließlich dem Unternehmer überlassen, ob er die<br />

Arbeitskraft nach drei Monaten weiterbeschäftigt oder nicht", trägt der Arbeitgeber-Anwalt<br />

selbstsicher vor. Die Gegenseite: "Das sind doch die üblichen Tricks, die Sie hier anbringen. Erst<br />

<strong>als</strong> Ihnen bekannt war, dass Frau Würger schwanger ist, haben Sie den auf unbestimmte Zeit<br />

geschlossenen Arbeitsvertrag zum Probearbeitsverhältnis deklariert, um meine Mandantin an die<br />

Luft setzen zu können."Für den 36jährigen Richter Vogel ist der Sachverhalt eindeutig. Die<br />

Kündigung von Regina Würger war unzulässig, weil der § 9 des Mutterschaftsgesetzes eine<br />

Entlassung während der Schwangerschaft ausschließt.<br />

Dieses am 7. April 1976 gefällte Urteil hilft der am 30. März 1975 gekündigten jungen<br />

Mutter aber nur wenig. Der Arbeitgeber legt Berufung ein. Darüber geht wieder ein halbes Jahr ins<br />

Land. Und erst wenn die Firma vor der nächsten Instanz, dem Landesarbeitsgericht, aberm<strong>als</strong><br />

verurteilt wird, muss sie die Klägerin wieder einstellen - was praktisch nie passiert oder ihr eine<br />

Abfindung von höchstens einem Monatsgehalt bezahlen.<br />

Mit dem Fall Würger hat sich das Gericht zwanzig Minuten befasst. Das ist schon sehr<br />

viel in dieser Zeit, in der einem Fall durchschnittlich maximal eine Viertelstunde zugestanden werd<br />

- im Durchschnitt versteht sich. Überall in Deutschland nimmt die Zahl der<br />

Arbeitsgerichtsverfahren rasant zu. Gerade in Zeiten wirtschaft1licher Talfahrten, Rezessionen,<br />

Betriebsschließungen - gar Entlassungen um nahezu 50 Prozent -geht es in vielen Gerichtssälen wie<br />

einst auf röhrenden Jahrmärkten zu. Rausschmiss ist der alles beherrschende Terminus dieser<br />

Jahrzehnte; verbrannte Erde vielerorts. Menschen hadern ihrer Berufsschicksale wie auf dem<br />

Bahnhofs-Basar im Wartesaal - irgendwo in diesem Land.<br />

Dann ruft die Schriftführerin den Hafenarbeiter Werner Hüper in den Saal. Auf den<br />

Stühlen der Anwälte haben jetzt die Rechtsvertreter der Gewerkschaft ÖTV (seit dem Jahr 2001<br />

Verdi) und des Unternehmens-Verbandes Hafen Hamburg Platz genommen. Hüper, seit sechs<br />

Jahren bei seiner Firma, verdiente <strong>als</strong> Stauervize zuletzt monatlich 4.200 Mark brutto. Ihm war<br />

gekündigt worden, so der Unternehmer-Anwalt, weil er ein "notorischer Trinker" sei. Schon im<br />

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