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Politische Gefangene, die nach ihrer Haft in den Westen ausreisen durften und ihre<br />

Augenzeugen-Berichte veröffentlichten, werden in der Sowjetunion <strong>als</strong> "Lügner und<br />

Entspannungsfeinde" diffamiert. Die sowjetische Führung - ob früher Nikita Chruschtschow<br />

(*1894+1971) oder später Leonid Breschnew (*1906-+1982) behauptet aber: "In der Sowjetunion<br />

gibt es keine politischen Gefangenen."<br />

Auch <strong>als</strong> im Dezember 1975 ein unter größten Gefahren gedrehter Amateurfilm vom<br />

Arbeitslager OZ 78/7 bei Riga im französischen Fernsehen ORTF gesendet wurde und der stern<br />

(Nr. 1/1976) die Bilddokumente veröffentlichte, erklärte die Sowjetführung: "Der Film ist eine<br />

Fälschung." Dieses Dementi nahmen den Moskauer Kommunisten dam<strong>als</strong> nicht einmal ihre<br />

französischen Parteigenossen ab. KPF-Chef Georges Marchais (*1920+1997) ging bewusst auf<br />

Kollisionskurs mit Moskau, <strong>als</strong> er feststellte: "Diese Tatsachen können dem Sozialismus Schaden<br />

zufügen."<br />

Wie recht Georg Marchais hat, beweisen neue Filmdokumente, die der stern <strong>als</strong> erste<br />

westliche Zeitschrift veröffentlicht. Sie zeigen das Lager von Riga ein Jahr danach. Wieder gelang es<br />

unbekannten Amateurfilmern, sich unter Lebensgefahr an das Lager OZ 78/7 heranzuschleichen<br />

und den Alltag der Gefangenen im Bild festzuhalten. Der 16mm-Streifen wurde von Freunden in<br />

den Westen geschmuggelt. Der Film beweist: OZ 78/7 ist in den letzten zwölf Monaten zu einem<br />

perfekten Konzentrationslager ausgebaut worden.<br />

Und das in jener Zeit, in der sich die sowjetische Regierung auf dem internationalen<br />

Parkett mit Entspannungs-Rhetorik zu profilieren sucht. Rechtzeitig zur zweiten "Konferenz für<br />

Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)", die am 15. Juni 1977 in Belgrad begonnen<br />

hat, präsentierte die KPdSU-Spitze der Weltöffentlichkeit eine neue, "liberale" Verfassung, Sie<br />

garantiert dem 225-Millionen-Volk - auf dem Papier -die klassischen Bürgerrechte: Recht auf freie<br />

Meinungsäußerung, Demonstrationsfreiheit, Glaubensfreiheit und "Unantastbarkeit im<br />

Briefverkehr und bei Telefongesprächen".<br />

In Wirklichkeit sind die <strong>als</strong> Jahrhundertwerk gefeierte Gesetzestexte ein Aufguss der<br />

Stalin-Verfassung von 1936, die ebenfalls Freiheiten versprach. Doch auch heute wie dam<strong>als</strong> gilt:<br />

"Die Ausübung dieser Rechte und Freiheiten durch die Bürger darf die Interessen der Gesellschaft<br />

und des Staates ... nicht verletzten." Und nur die Partei bestimmt, wer "die Interessen der<br />

Gesellschaft" verletzt. Und das Strafrecht ermächtigt den Staatsapparat, politische und religiöse<br />

Dissidenten zu verhaften und abzuurteilen.<br />

Die sowjetische Verfassungswirklichkeit, die Regime-Gegner in den Untergrund zwingt<br />

und Dissidenten an der Ausreise hindert, widerspricht eindeutig der Schlussakte der ersten KSZE-<br />

Tagung in Helsinki. Bei der Unterzeichnung im August 1975 hatte Parteichef Leonid Breschnew<br />

(1964-1982) zugesagt, den "freien Austausch von Gedanken in Informationen und Meinungen"<br />

zwischen der UdSSR und den westlichen Staaten zu verwirklichen. Amerikanische Kritik, Moskau<br />

sei "weit unter den Abmachungen von Helsinki geblieben" und wende die Menschenrechte<br />

"willkürlich" an, wies der KP-Chef stets entrüstet und mit der Begründung von sich, in der<br />

Sowjetunion gebe es keine Straflager, sondern nur "Erziehungskolonien".<br />

Der Tag der 1.500 Häftlinge in der "Erziehungskolonie" Riga OZ 78/7 beginnt, so<br />

bekunden ehemalige Insassen, um 5.30 Uhr. Die Strafgefangenen müssen zum Zähl-Appell aus<br />

ihren Baracke heraustreten. An den Türen gibt es jeden Morgen ein Gedränge. Die Unterkünfte<br />

sind hoffnungslos überbelegt. Mehr <strong>als</strong> 50 Mann hausen jeweils in einem Schlafraum, der für zwölf<br />

bestimmt ist.<br />

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