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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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gegen die zu kürenden Ehrensenatoren zu protestieren. Auf ihre Transparente hatten sie in großen<br />

Lettern gepinselt: "Die Schweine von heute sind die Braten von morgen." - "Umweltschutz ist<br />

wichtiger <strong>als</strong> de Gewinne der Farbwerkbosse." - "Aus Liebe zu den Senatoren kauft<br />

Schweineschwänzchen und Schweineohren."<br />

Von Sperrgittern und Wasserwerfern verbarrikadiert, von Polizeihundertschaften nebst<br />

Reiterstaffeln eingekreist, doziert im Kirchen-Interieur Uni-Ehrensenator Hartwig Kelm über die<br />

"schweigenden Mehrheiten" von Studierenden und Lehrenden, die sich aus der "Umklammerung<br />

von brutaler Gewalt und rücksichtsloser Missachtung demokratischer Gesetzmäßigkeiten" befreien<br />

wollen.<br />

Privatbankier Johann Philipp Freiheit von Bethmann (*1924+2007), der der hessischen<br />

CDU mit ihrem rechtslastigen Landeschef Alfred Dregger (*1920+2002) orakelt in seinem<br />

Festvortrag über die von Vertrauenskrisen geschüttelten westlichen Demokratien. Ihm fehle es<br />

insbesondere an politischer Führung in diesem Land. Vor allem sei es aber "der alles regelnde<br />

Wohlfahrtsstaat, der <strong>als</strong> riesig umverteilende Sozialbehörde mehr und mehr den Charakter der<br />

beschützenden Herrschaft- und Ordnungseinrichtung verliere." Politik und Perspektive,<br />

Akkuratesse im Gesicht und am Zwirn - in Frankfurt kommt und geht ein Ehrensenator selten<br />

allein. Draußen auf dem Paulsplatz fliegen Eier, Farbbeutel, Jauchetücher, Schweineschwänze,<br />

Stinkbomben, verdrecktes Main-Wasser wird kübelweise ausgekippt. Und immer wieder stimmen<br />

Jugendliche ihr eigens für diesen Tag getextetes Liedchen an: "In einer Kirche sitzen zu Frankfurt<br />

am Main Leute, die nichts nützen, und lassen keinen rein. Sie schwingen große Reden von ihrem<br />

Bürgerglück und schmieden schon die Waffen der Giftmüll-Republik."<br />

Zwei Welten, zwei gegensätzliche Milieus knallen aufeinander, die einander nichts zu<br />

sagen haben, die sich gegenseitig abstoßen, die folglich kaum noch Berührungspunkte kennen, die<br />

sich im Grunde aber gegenseitig bedingen. Frankfurt in diesen Tagen, der achtziger Jahre, Szenen<br />

aus dieser Stadt. Wie an jedem Samstag schieben sich Menschentrauben über den Eisernen Steg,<br />

eine schmale Fußgängerbrücke, die über den Main führt. Am Sachsenhäuser Ufer ist Flohmarkt-<br />

Zeit. Ein Treffpunkt für Trödler und Gaukler, für professionelle Schausteller und Schüler, die<br />

Nippes und Comix anpreisen. Aber auch Alternativler aus den umgebenden Landkommunen<br />

haben da ihre makrobiotischen Stände, heimgepilgerte Poona-Jünglinge treten im Pulk auf und<br />

lassen den plötzlichen Exodus aus dem transzendentalen indischen Jenseits erahnen. Und dann<br />

gibt's noch die Punks, die Angehörige des sogenannten "Schwarzen Blocks". Ihr Äußeres:<br />

Lederklamotten, Stiefel und Sporen, Bürstenschnitt mit Ohrringen. Ihr Habitus: Sie trinken schon<br />

frühmorgens Bier wie Limo und geben einen dummen Spruch nach dem anderen zum Besten.<br />

"Kein Schwanz ist so hart wie das Leben" - "Auch Flöhe husten manchmal".<br />

Von Flöhen und Hustinetten wollte jedenfalls keiner mehr etwas wissen, <strong>als</strong> an die 50<br />

Jugendlichen in der routinierten Manier einer Klebekolonne ihre Transparente und Plakate<br />

befestigten. "Wir lassen uns nicht einschüchtern", flattert es auf einmal vom Eisernen Steg. Ein<br />

durchgestrichenes 129a deutet an, dass es sich um die vom Staat unter Strafe gestellte<br />

Unterstützung einer terroristischen Vereinigung dreht. Auslöser für diese Aktion war eine bereits<br />

Wochen zurückliegende Demonstration gegen "Isolationsfolter" gewesen. Auf den Flugblättern<br />

heißt es nunmehr: "Das Kleben dieses Plakats wurde zum Anlass genommen, um gegen Jürgen D.<br />

und Miriam G. Haftbefehl zu erlassen ! In der Begründung des Ermittlungsrichters Kuhn<br />

(Bundesgerichtshof) steht: 'Die Forderung um Zusammenlegung von politischen Gefangenen stellt<br />

den Tatbestand der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung dar.' "<br />

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