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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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nach Holland, dann einen duften Abend mit vielen Spielchen, die jeder kannte, mal Posthörnchen,<br />

mal Senftöpfchen. Doch nach der langen, unfreiwilligen Pause ließ es sich an diesem Samstag<br />

schleppend an. Schließlich zischten Robbi und Andy allein über die Grenze, mürrisch wie sie<br />

waren, aber der Shit musste geholt werden. Ulli kreuzte nach sechs, Dorle noch eine Stunde später<br />

auf. Gisela kam erst um halb neun und brachte Anna mit, die allen fremd war, jedoch lebhafte<br />

Neugierde auslöste. Anna, obwohl erst vierzehn, fast unscheinbar, klein und zierlich, zog<br />

unweigerlich die Blicke auf sich. Vielleicht, weil so gar nichts von ihr ausging, was mit den Cliquen-<br />

Mädchen vergleichbar gewesen wäre.<br />

Seltsam, wie das Äußere knirschte. Lagen doch keine zwei Jahre zwischen Annas<br />

Pummeligkeit und dem unverkennbaren Anflug von Verhärmtheit bei Gisela und Dorle keine<br />

Zwischenstufe mehr - auf dem Weg in die Welt, die sich erwachsen nennen darf. Anna jedenfalls<br />

kannte keine Schminke, keinen Lidschatten. Sie trug eine beige Cordhose, einen braunen Pulli mit<br />

Ärmelschonern, ausgelatschte Knöchelstiefel, einen Umhängebeutel, der selbstgestrickt war und<br />

auf dem sie eine Ostermarschierer-Plakette befestigt hatte. Aber nicht <strong>als</strong> politisches<br />

Erkennungszeichen. Als Anna das Ding beim Trödler entdeckte, kam es ihr gar nicht in den Sinn,<br />

dass ihre neue Plakette ein politisches Symbol der Protestbewegung in den sechziger Jahren war.<br />

Wie sollte sie es auch wissen. Dam<strong>als</strong>, <strong>als</strong> die Oster-Leute über die breiten Straßen der Großstädte<br />

zogen, da war Anna ja erst drei Jahre alt.<br />

Anna und Gisela hatten sich beim Tanztee getroffen. Für Anna war es überhaupt die erste<br />

Tanztee-Veranstaltung, zu der sie allein hindurfte. Sie musste zu Hause lange und mit äußerster<br />

Beharrlichkeit gegen ihren Vater, einen Berufsschullehrer, drum kämpfen. Anna wollte ihre eigene<br />

Freiheit, ihre eigenen Abende - zumindest am Wochenende. Sie wollte ihre Scheu abstreifen, die sie<br />

zusehends isolierte. Anna wohnte nämlich mit ihrer Familie nicht in Aachens City, sondern zehn<br />

Kilometer hinter der belgischen Grenze, wo ihre Eltern vor Jahren gebaut hatten -, aus<br />

Preisgründen, wie sie immer sagten. Heute zahlen sie <strong>als</strong> Wahl-Belgier monatlich 400 Mark Steuern<br />

mehr <strong>als</strong> in der Bundesrepublik.<br />

Anna spürte schon seit Längerem eine innere Unruhe und einige Ungereimtheiten. Schon<br />

<strong>als</strong> kleines Kind hatte der bloße Anblick von Männern sie ängstigen können. Wenn sie bei einer<br />

Freundin spielte und der Vater kam nach Hause, lief sie brüllend davon. Spätestens seit der<br />

Tanzschule, die ihr generös zugestanden worden war, schwankte Anna zwischen ihrer Scheu und<br />

"rosaroten Träumchen". Um so enttäuschter war die 14jährige vom Aachener Tanztee am<br />

Samstagnachmittag. Das roch alles zu sehr nach biederem Foxtrott, auch wenn man sich heute<br />

nicht mehr artig anfasst. Schüchterne Gehversuche von verklemmten Eintänzern, die mit<br />

linkischen Bewegungen ihre Unsicherheit kaum verbergen konnten. Jünglinge, die Annas<br />

unterschwellige Ängste eher verstärkten, statt sie abzubauen. Gisela hingegen, lässig und<br />

schnodderig, entsprach schon mehr dem unausgesprochenen Gefühl nach zeitgemäßer Libertinage.<br />

Gefühle, die in einen ungewissen und unüberschaubaren Abend mündeten. Nur über eines war<br />

sich Anna von vornherein im Klaren, <strong>als</strong> sie mit Gisela zu Robbi ging. Sie würde wohl kaum mit<br />

dem letzten Bus nach Hause fahren wollen und einem Riesenkrach mit ihrem Vater entgegensehen.<br />

Robbi machte auf Anna einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits konnte er es sich nicht<br />

verkneifen, ihr per Wohnungsrundgang alle Insignien der Familie Neureich exemplarisch<br />

vorzuführen. Andererseits belustigte sich Robbi über seine Eltern, indem er unaufgefordert ihre<br />

Hochzeitskarte aus der Schreibtischschublade holte und über den Leitspruch: "Die Ehe ist ein<br />

Schlachtfeld, wir wollen es mit Rosen übersäen", zynisch grunzte. Die Clique saß auf der Terrasse.<br />

Als Anna sich dazuhockte, kamen ihr die ersten süßlichen Haschschwaden entgegen, die allmählich<br />

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