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Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

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Danach folgte ein Abendgebet: 'Lieber Gott mit starker Hand, schütze unser Vaterland, gib' dem<br />

Führer Weisheit, Stärke; segnet ihn bei seinem Werke, auf das Deutschland wieder werde groß und<br />

mächtig auf der Erde. Amen.'<br />

Kannten die Jugendlichen nicht diesen Spruch, dann wurden sie dazu gezwungen. Hatte<br />

ein Junge nach dem gesprochen, der musste auf dem Flur Liegestütze und Kniebeuge machen.<br />

Waren die Jugendlichen krank und hatten eine Erkältung, dann bekamen sie Rizinusöl, um die<br />

Erkältung zu unterdrücken. Zu dieser Zeit hatte Oberarzt Dr. Kreyenberg zwei Häuser in Beschlag<br />

genommen. Pfleglinge wurden verschleppt, die die Anstalt nicht mehr wiedersahen."<br />

"Wittenberg" hieß die nächste Alsterdorfer Abteilung. Inzwischen schrieb man 1941.<br />

"Wahllos", so Huth, "hatten die Ärzte kranke Pfleglinge sterben lassen. Sie hielten ihnen vor: 'Du<br />

markierst'." Huth erkrankte selbst an Ruhr und wurde nach "Hohenzollern" abgeschoben - zurück<br />

in einen berüchtigten Wartesaal. Die Alsterdorfer Stationen tragen noch heute ihren hehren Titel.<br />

Albert Huths Erinnerungen stimmen mit der historisch festliegenden "TR-4-Aktion" im großen<br />

und ganzen überein.<br />

Das Alsterdorfer "Paul-Stritter-Haus" wurde für den Zögling Albert Huth zum<br />

Schlüsselerlebnis. Hier belauschte er ein Gespräch zwischen einem Anstaltspfarrer B., einen Dr. C.,<br />

seinerzeit ein Beauftragter der Gesundheitsbehörde, und dem Alsterdorfer Arzt D. "Hier sind viele<br />

Juden und Geisteskranke. Wann gedenken Sie die Pfleglinge abzuholen?" fragte D. Huth: "Am 29.<br />

Juli 1943 war es dann soweit. Um vier Uhr morgens waren sechs Autobusse in der Anstalt<br />

erschienen. Sie nahmen 329 Mädchen, 89 Kinder und 28 Babys mit. Drei Autobusse hielten auf<br />

dem weiblichen, drei weitere auf dem männlich Gebiet. Heraussprangen aus dem Bus die Gestapo.<br />

'Wie viel Vögel habt Ihr', wollte sie wissen. Antwort: 'Es befinden sich eine hier eine ganze<br />

Portion', sagt einer zu seinem Kollegen. Antwort: Dann her mit den Schweinen." Insgesamt waren<br />

es 478 Pflegeinsassen, darunter Geisteskranke, Schwachsinnige, Epileptiker, Krüppel, Frauen und<br />

Kinder.<br />

Fast alle Pfleglinge trugen vorne vor der Brust ein Schild. Darauf stand geschrieben:<br />

'Sklaven, gestorben am 3. August 1943, Heil Hitler. Wirklich, wie Schweine wurden die Pfleglinge<br />

in die Busse verladen, Schwestern hatten sie noch zurückhalten wollen, aber die Gestapo hatte<br />

mehr Macht ... Als ich um 12.1o Uhr im Lindenhof 2 und im Eichenhof sowie in den Knabenhort<br />

kam, waren alle Räume leer. Nicht einen Einzigen hatten sie hier behalten. Dafür blieben in der<br />

Anstalt einige Häuser frei bis nach dem Krieg 1945 ... ... Sie kamen mit der Begründung, wegen der<br />

pausenlosen Luftangriffe mussten die Pfleglinge in Sicherheit gebracht werden. Diese Sicherheit<br />

endete im Konzentrationslager."<br />

Albert Huths Weg führte derweil zum Krankenhaus Barmbek, in die Abteilung CH 4. Er<br />

war gerade erst 17 Jahre alt, <strong>als</strong> er dort sterilisiert wurde - und zwar ohne Narkose. Huth: "Ich habe<br />

gelitten unter qualvollen Schmerzen. So waren mein Schicksal und meine Existenz besiegelt. Nicht<br />

einmal meine Angehörigen wussten etwas."<br />

Zurück in Alsterdorf machte Huth die Bekanntschaft mit einem Pfleger namens Egon<br />

Gerner, einem ausgedienten Wehrmachts-Unteroffizier mit "Nahkampfspange in Gold und Silber".<br />

Er kam verwundet von der Front zurück und hatte, wie Huth meint, es von vornherein auf die<br />

"Juden-Mistkröte" Huth abgesehen. Weil er ein paar Äpfel geklaut hatte, schickte ihn Gerner<br />

aberm<strong>als</strong> in den Wartesaal. "Ich bekam eine Glatze geschoren und blaugraues Zeug verpasst und<br />

Wasser für drei Tage. Als meine Mutter kam, erkannte sie mich nicht mehr wieder."<br />

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