07.02.2013 Aufrufe

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

Verfügbar als pdf (8,7 Mb) - Reimar Oltmanns

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ALLAH UND ARMEE IN ALGERIEN – ZERREIßPROBEN<br />

NACH BEFREIUNGSKAMPF<br />

Mehr <strong>als</strong> ein Jahrzehnt wurde in diesem Land in Nordafrika einer der „dreckigsten Kriege“<br />

der Welt ausgetragen. Mit dem vom Militär unterstützten Regime versucht die algerische<br />

Regierung ihren Kampf gegen islamische Unterwanderung zu gewinnen. Wieder<br />

Bürgerkrieg in Algerien: Einst französische „Kolonialherren gegen Befreiungskämpfer“ ,<br />

nunmehr „Islamisten gegen Sicherheitskräfte“. Über 200.000 Menschen – die meisten<br />

Zivilisten – starben. „Erfolgsrezept“: Folter. Neuer Verbündeter: die USA. Neue Waffen:<br />

made in USA<br />

Cuxhavener Zeitung vom 31.Dezember 1970 / 18. Dezember 2008<br />

Es dämmerte schon ein wenig, <strong>als</strong> wir in Algier die Kasbah betraten. Ein bisschen Exotik<br />

sollte es noch sein an diesem November Abend; dam<strong>als</strong> waren wir noch jung an Jahren. Und es<br />

hatte etwas mit unserem Fernweh zu tun. Raus aus diesem vom Nebel eingehüllten Deutschland in<br />

solch depressiv anmutenden November-Tagen. Hinein in enge, schmutzige Gassen des Allstadt-<br />

Lebens, wo Hunderte von Kindern im größten Dreck herumwühlen, Männer sich beim<br />

Dominospielchen beweisen - und Frauen sich scheu hinter dicken Gemäuern zu verstecken haben.<br />

Armut pur, alle lächeln - und das fürs Video daheim auch noch umsonst. In vergangenen Jahren<br />

sind in der Kasbah an die 350 Häuser verfallen. Insbesondere in den Herbst-Monaten, wenn<br />

heftige Regengüsse auf Algier prasseln, spülen diese Wassermassen immer wieder alte<br />

Lehmziegelmauern der übereinander gewürfelten Häuser fort. Momentaufnahmen. Der Abend<br />

gehört den Kronleuchtern und Stuckdecken aus dem 19. Jahrhundert in der Edelherberge "El<br />

Minza"; französische Kolonial-Noblesse samt Mittelmeer - Weitwinkelblick inbegriffen.<br />

Spuren kolonialer Vergangenheiten Frankreichs (1830-1962) werden ganz allmählich<br />

beseitigt - Stein um Stein. An einem Mietshaus ist gerade noch auf einer Steinplatte lesbar, dass<br />

dort einmal ein Gericht seine Urteile sprach. Das Gemäuer der kolonialen "Nationalbibliothek" ist<br />

frisch hergerichtet, doch unter der Sperrholzplatte bleibt die alte Gravur verborgen. Hier in der<br />

Kasbah spüre ich einen Hauch vom seelischen Innenleben Algeriens, wird für mich<br />

nachvollziehbar, dass dieser brutale, mörderische Unabhängigkeitskrieg der 50er und 60er Jahre das<br />

Verhältnis zwischen Algerien und Frankreich bis in die Gegenwart hinein belastet. - Knoten im<br />

Kopf, Atemnot.<br />

Ich laufe durch die Kasbah und frage mich - auch zufällige Passanten, mit denen wir ins<br />

Gespräch kommen, ich frage mich immer wieder 'musste das wirklich sein' - dieses Abschlachten,<br />

Foltern, Ausmerzen, Ausrotten ? - Achselzucken vielerorts, Stille überall. Irgendwie und irgendwo<br />

sollte mich ein Psychiater, der auch ein Politiker war, in meinen Gedanken begleiten. Als<br />

Reisevorbereitung hatte ich das Buch Frantz Fanon (*1925+1961) "Die verdammten dieser Erde"<br />

(1961) gelesen - ein Standardwerk jener Jahre. Frantz Fanon wusste nur zu genau, wovon er sprach.<br />

Er war der Vordenker der Entkolonialisierung.<br />

Als Dunkelhäutiger wurde Fanon auf der Karibikinsel Martinique geboren. Die war bis im<br />

Jahr 1946 französische Kolonie. Seither gilt Martinique - nunmehr <strong>als</strong> Département d'Outre-Mer -<br />

<strong>als</strong> ein Teil des französischen Staats-Territoriums. Sicherlich, formal galten die Insel-Bewohner <strong>als</strong><br />

Franzosen, tatsächlich wurden sie von den weißen Siedlern <strong>als</strong> "Schwarze" gebrandmarkt, Bürger<br />

der zweiten Kategorie. Wer die Seele Algeriens berührt, verstehen will, der sollte auch halbes<br />

Jahrhundert später aberm<strong>als</strong> Frantz Fanon entdecken. Er hatte <strong>als</strong> Chefarzt im Jahr 1953 im<br />

14

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!